Bindungsstörungen

Bindungsstörungen sind pathologische Beziehungsmuster und gestörte soziale Beziehungsfähigkeiten, die typischerweise in den ersten fünf Lebensjahren eines Kindes aufgrund von anhaltenden Mängeln in der Fürsorge durch die primären Bezugspersonen entstehen. Sie unterscheiden sich von „unsicheren Bindungsmustern“ (wie unsicher-vermeidend oder unsicher-ambivalent) dadurch, dass sie eine klinisch relevante Störung der sozialen Funktion darstellen. Unbehandelt können die Auswirkungen bis ins Erwachsenenalter reichen.

Klassifikation (nach ICD-10 und ICD-11)

In den diagnostischen Klassifikationssystemen (ICD-10 und ICD-11) werden zwei Hauptformen von Bindungsstörungen unterschieden, die nur im Kindesalter diagnostiziert werden können:

  • Reaktive Bindungsstörung
    Gehemmte Form (eher ruhig und in sich gekehrt). Das Kind zeigt ein gehemmtes, emotional zurückgezogenes Verhalten und sucht in Belastungssituationen keinen Trost bei der Bezugsperson (z. B. läuft es weg, wenn es Angst hat). Es zeigt einen Mangel an emotionaler Ansprechbarkeit.
  • Bindungsstörung mit Enthemmung
    Ungehemmte Form (eher laut und auffällig). Das Kind zeigt ein wahlloses, übermäßig vertrautes und distanzloses Verhalten gegenüber fremden Erwachsenen (schnelles und übertrieben freundliches Annähern an Unbekannte), ohne die sonst übliche Zurückhaltung.

Ursachen

Bindungsstörungen entstehen primär durch eine schwerwiegende Vernachlässigung oder Traumatisierung im frühkindlichen Alter, die die Entwicklung einer sicheren Bindung verhindern:

  • Mangelnde Feinfühligkeit und Responsivität:
    Die Bezugspersonen reagieren nicht angemessen, verlässlich oder sensibel auf die Signale des Kindes (Weinen, Hunger, Nähebedürfnis).
  • Vernachlässigung und Misshandlung:
    Körperliche oder emotionale Vernachlässigung sowie Missbrauch.
  • Instabile Betreuungssituationen:
    Häufiger Wechsel der primären Bezugspersonen, Heimunterbringung oder längere Trennung vom Elternteil.
  • Elterliche Probleme:
    Psychische Erkrankungen wie Depressionen, chronische Krankheiten oder Suchterkrankungen der Eltern, die deren Verfügbarkeit stark einschränken.

Auswirkungen im Erwachsenenalter

Obwohl die Diagnose offiziell nur im Kindesalter gestellt wird, können die Folgen unbehandelt bis ins Erwachsenenalter andauern und sich in Schwierigkeiten mit zwischenmenschlichen Beziehungen äußern (oft als „Bindungsangst“ oder „Bindungsstörung bei Erwachsenen“ bezeichnet):

  • Schwierigkeiten in Beziehungen:
    Unfähigkeit, tiefe, vertrauensvolle oder stabile Beziehungen aufzubauen. Beziehungen scheitern häufig oder bleiben oberflächlich.
  • Bindungsangst:
    Die Angst vor zu viel Nähe und Verbindlichkeit, die oft zu emotionalem oder räumlichem Rückzug führt, sobald sich die Beziehung verfestigt.
  • Mangelndes Vertrauen:
    Schwierigkeiten, anderen Menschen zu vertrauen oder emotionale Nähe zuzulassen.
  • Emotionsregulationsprobleme:
    Die fehlende stabile Bindung kann zu Schwierigkeiten führen, Emotionen angemessen zu regulieren und mit Stress umzugehen.

Wichtig: Bei Verdacht auf eine Bindungsstörung bei Kindern oder entsprechende Schwierigkeiten in Erwachsenenbeziehungen ist es ratsam, professionelle psychotherapeutische oder kinderpsychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

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