Dysfunktionale Schemata

Dysfunktionale Schemata (auch maladaptive Schemata oder Lebensfallen) sind tief verwurzelte, starre Muster von Denken, Fühlen und Verhalten, die sich typischerweise in der Kindheit oder Jugend entwickeln und die Verarbeitung späterer Erfahrungen stark negativ beeinflussen.
Sie bilden die zentrale Grundlage für chronische psychische Probleme und Persönlichkeitsstörungen.

Das Konzept der dysfunktionalen Schemata stammt ursprünglich aus der Schematherapie von Jeffrey Young, einer Weiterentwicklung der Kognitiven Verhaltenstherapie und spielt auch in der Klärungsorientierten Psychotherapie von Rainer Sachse eine zentrale – wenn auch im Detail andere – Rolle.

Dysfunktionale Schemata in der Schematherapie

Kernelemente und Entstehung

  1. Stabilität und Tiefe:
    Schemata sind extrem stabil und überdauernd. Sie sind mehr als nur einzelne negative Gedanken; sie sind umfassende, innere „Schablonen“ oder „Filter“, durch die eine Person sich selbst, andere und die Welt wahrnimmt.
  2. Entstehung:
    Sie entstehen, wenn wichtige emotionale Grundbedürfnisse in der Kindheit wiederholt und schwerwiegend frustriert wurden. Zu diesen Grundbedürfnissen gehören etwa sichere Bindung, Autonomie, realistische Grenzen und Spontaneität.
    • Beispiel: Ein Kind, dessen emotionale Bedürfnisse ständig ignoriert wurden, entwickelt das Schema der Emotionalen Entbehrung und erwartet unbewusst, dass ihm auch als Erwachsener niemand emotionale Unterstützung geben wird.
  3. Wirkung:
    Sobald ein Schema durch eine Situation (Trigger) aktiviert wird, löst es intensive, schmerzhafte Emotionen aus und führt zu automatischen Reaktionen, die das eigentliche Problem oft aufrechterhalten oder verstärken.

Die drei Bewältigungsstile

Um mit den schmerzhaften Gefühlen des Schemas umzugehen, entwickeln Betroffene drei Hauptstrategien (Bewältigungsstile), die die Schemata paradoxerweise stabilisieren:

BewältigungsstilErklärungFolge
Sich-Fügen (Unterwerfung)Die Person akzeptiert das Schema und verhält sich konform dazu.Sie sucht unbewusst Partner oder Situationen, die das Schema bestätigen (z.B. der emotional entbehrte Mensch sucht ständig kalte, distanzierte Partner).
Vermeidung und (Flucht)Die Person versucht, Situationen oder Gefühle zu meiden, die das Schema auslösen könnten.Emotionaler Rückzug, Distanzierung, Ersatzaktivitäten (z.B. Sucht, übermäßiges Fernsehen, Workaholismus).
Überkompensation (Kampf)Die Person kämpft aktiv gegen das Schema, indem sie das genaue Gegenteil tut – oft übertrieben und ungesund.Der Mensch mit dem Schema der Unzulänglichkeit wird zum aggressiven Besserwisser oder Perfektionisten, um seine innere Schwäche zu widerlegen.

Beispiele für Schemata

Young unterscheidet 18 Schemata, die in fünf Domänen (Bereiche frustrierter Grundbedürfnisse) gruppiert sind. Hier eine Auswahl der häufigsten:

SchemadomäneSchemaTypische Überzeugung
AbgetrenntheitVerlassenheit / Instabilität„Ich werde immer im Stich gelassen. Meine Beziehungen sind unsicher.“
AutonomieUnzulänglichkeit / Scham„Ich bin minderwertig, fehlerhaft oder nicht liebenswert.“
Umgang mit GrenzenAnspruchshaltung„Ich habe ein Recht auf das, was ich will, ohne Rücksicht auf andere oder Regeln.“
FremdbezogenheitUnterwerfung„Ich muss mich anpassen und meine Bedürfnisse zurückstellen, sonst werde ich abgelehnt.“
ÜberkontrolleUnerbittliche Standards„Alles, was ich tue, ist nicht gut genug. Ich muss perfekt sein, um akzeptiert zu werden.“

Das Ziel der Schematherapie ist es, diese Muster zu identifizieren und zu heilen, indem die frühkindlichen emotionalen Bedürfnisse nachträglich korrigiert und gesunde Bewältigungsstrategien gefördert werden.

Dysfunktionale Schemata in der Klärungsorientierten Psychotherapie (KOP)

In der Klärungsorientierten Psychotherapie (KOP) nach Rainer Sachse sind dysfunktionale Schemata zentrale Konstrukte zur Erklärung chronischer psychischer Probleme. KOP ist eine Weiterentwicklung der Verhaltenstherapie, die sich stark auf die Klärung und Bearbeitung dieser Schemata konzentriert, um eine funktionale Selbstregulation beim Klienten wiederherzustellen.

Definition in der KOP

Dysfunktionale Schemata sind in der KOP problemdeterminierende und implizit wirkende Muster. Sie stellen eine Kompression von Erfahrungen dar, die aus kognitiven, affektiven und motivationalen Aspekten bestehen.

  • Implizit und Automatisiert:
    Schemata sind der Person oft nur teilweise kognitiv zugänglich und laufen automatisiert ab. Sie werden durch spezifische Situationen („Trigger“) aktiviert und beeinflussen blitzschnell die Informationsverarbeitung, das Denken, Fühlen und Handeln.
  • Bestandteile:
    Schemata in der KOP enthalten typischerweise:
    • Kognitionen/Annahmen:
      Kernüberzeugungen über sich selbst oder Beziehungen (z.B. „Ich bin inkompetent“, „In Beziehungen wird man abgewertet“).
    • Affekte:
      Die mit dem Schema verbundenen Gefühle (z.B. Angst, Scham, Wut).
    • Motivationale Aspekte:
      Darin enthaltene Ziele oder Handlungsregeln (z.B. „Ich muss perfekt sein“, „Ich darf keine Fehler machen“).

Ziel: Das Hauptziel in Bezug auf Schemata ist die Klärung (Explizierung) der impliziten Muster, gefolgt von der Bearbeitung und Veränderung, um ihren dysfunktionalen Einfluss zu verlieren.

Arten von Schemata nach Sachse

Während die Schematherapie (Young) eine Liste von 18 spezifischen Schemata verwendet, arbeitet die KOP mit einer differenzierten Einteilung, die sich an Motiv-Themen orientiert:

  1. Selbst-Schemata:
    Aussagen über die eigene Person (z.B. „Ich kann nichts“, „Ich bin schlecht“).
  2. Beziehungsschemata:
    Aussagen über Beziehungen und was man von anderen zu erwarten hat (z.B. „Man wird ausgenutzt“, „Niemand ist verlässlich“).
  3. Normative Schemata (Regel-Setzer-Strukturen):
    Regeln und Vorschriften an sich selbst, die oft der Kompensation dienen, um negatives Feedback im Motivbereich zu vermeiden (z.B. „Du musst erfolgreich sein“, „Du darfst andere nicht kritisieren“). Diese Schemata steuern interaktionelle Ziele auf einer „Spielebene“.

Therapeutisches Vorgehen (Klärung und Bearbeitung)

Die KOP legt großen Wert darauf, Schemata nicht nur kognitiv zu hinterfragen, sondern sie erlebnisorientiert im Hier und Jetzt zu aktivieren und zugänglich zu machen. Die Arbeit erfolgt sequentiell:

  1. Beziehungsaufbau:
    Schaffung einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung als notwendige Basis.
  2. Klärung (Explizierung):
    Dies ist der zentrale Schritt. Durch Interventionen wie das Ein-Personen-Rollenspiel oder gezielte Nachfragen („Was löst die Situation in Ihnen aus?“, „Was geht Ihnen durch den Kopf?“) wird das implizite Schema aktiviert und kognitiv repräsentiert. Der Klient muss ein Bewusstsein für Entstehung, Aufrechterhaltung und Wirkung des Schemas entwickeln.
  3. Bearbeitung und Veränderung:
    Sobald das Schema klar ist, wird es bearbeitet. Methoden umfassen:
    • Prüfung:
      Kognitives Disputieren der schemageleiteten Annahmen.
    • Affektive Methoden:
      Bearbeitung der emotionalen Komponenten.
    • Aufbau von Alternativschemata:
      Entwicklung neuer, funktionaler Überzeugungen.

Unterschiede zwischen Schematherapie und Klärungsorientierter Psychotherapie

Obwohl beide Ansätze Schemata als zentral erachten, unterscheiden sie sich im Detail:

MerkmalSchematherapie (Young)Klärungsorientierte Psychotherapie (Sachse)
KerneinheitSchema-Modi (aktuelle emotionale Zustände wie „Verletztes Kind“ oder „Strafender Elternteil“).Dysfunktionale Schemata (starre, kognitiv-affektive Muster).
Konzeptuelle TrennungKlare Trennung zwischen Schema und Bewältigungsstil (Unterwerfung, Vermeidung, Überkompensation) bzw. Modi.Schemata führen bei Aktivierung direkt zu dysfunktionalen Interpretationen und Handlungssteuerungen; eine gesonderte „Modi“-Trennlinie ist unnötig.
SchwerpunktStarker Fokus auf emotionsfokussierte und imaginative Arbeit (Limited Reparenting) zur Heilung des Kind-Modus.Starker Fokus auf Klärung (Explizierung des impliziten Schemas) und kognitive Bearbeitung der Schemata, um die Selbstregulation zu fördern.

Beide Modelle verfolgen jedoch das Ziel, die tief verankerten, dysfunktionalen Muster zu erkennen und zu verändern, um chronischen psychischen Leidensdruck zu reduzieren.

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