Abhängige Persönlichkeitsstörung (DPS)
Die Abhängige Persönlichkeitsstörung (Dependent Personality Disorder, DPS), im ICD-10 als Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (F60.7) geführt, ist eine psychische Störung aus dem Cluster C („ängstlich, furchtsam“) der Persönlichkeitsstörungen.
Ihr Kernmerkmal ist ein übermäßiges, tief verwurzeltes Bedürfnis, umsorgt zu werden, was zu unterwürfigem und klammerndem Verhalten sowie großen Trennungsängsten führt. Betroffene sehen sich selbst als hilflos und inkompetent, um Entscheidungen zu treffen und alleine zu funktionieren.
Symptome und Diagnostische Kriterien (DSM-5)
Für die Diagnose nach DSM-5 muss ein tiefgreifendes und übermäßiges Bedürfnis, umsorgt zu werden, vorliegen, das mit unterwürfigem und anklammerndem Verhalten sowie Trennungsängsten einhergeht. Dieses Muster manifestiert sich durch mindestens fünf der folgenden Kriterien:
- Schwierigkeiten, alltägliche Entscheidungen zu treffen, ohne übermäßige Ratschläge und Bestätigung von anderen zu erhalten.
- Braucht andere, die die Verantwortung für die meisten wichtigen Lebensbereiche übernehmen (z. B. Jobwahl, Wohnort).
- Schwierigkeiten, Meinungsverschiedenheiten zu äußern, da die Angst besteht, die Unterstützung oder Zustimmung zu verlieren. (Beachte: Hier wird keine realistische Angst vor Bestrafung berücksichtigt.)
- Schwierigkeiten, Projekte eigenständig zu beginnen oder Dinge alleine zu tun, aufgrund mangelnden Selbstvertrauens in das eigene Urteil und die eigenen Fähigkeiten (nicht aufgrund mangelnder Motivation oder Energie).
- Geht übermäßig weit, um Unterstützung und Fürsorge von anderen zu erhalten, bis hin zur freiwilligen Annahme unangenehmer oder demütigender Aufgaben.
- Fühlt sich unwohl oder hilflos, wenn allein, aufgrund übertriebener Ängste, nicht für sich selbst sorgen zu können.
- Sucht dringend eine neue enge Beziehung als Quelle für Fürsorge und Unterstützung, sobald eine enge Beziehung endet.
- Ist in unrealistischer Weise von Ängsten eingenommen, verlassen zu werden und für sich selbst sorgen zu müssen.
Psychologische Erklärungsmodelle
Kognitive Theorie
Aus kognitiver Sicht basiert die abhängige Persönlichkeitsstörung auf tief verwurzelten dysfunktionalen Grundannahmen:
- Selbstbild: „Ich bin hilflos, schwach und inkompetent.“
- Weltsicht: „Die Welt ist ein gefährlicher Ort, den ich alleine nicht bewältigen kann.“
- Strategie: „Ich muss eine starke Person finden, die sich um mich kümmert, um zu überleben.“
Diese Überzeugungen führen zu einem externalen Locus of Control, bei dem die Kontrolle und Verantwortung für das eigene Leben an andere abgegeben wird, um die gefürchtete Inkompetenz nicht beweisen zu müssen.
Ursachen
Die Störung entwickelt sich typischerweise durch eine Kombination aus:
- Überbehütung:
Eine Erziehung, die Eigenständigkeit und Autonomie übermäßig unterbindet und dem Kind vermittelt, dass es ohne elterliche Hilfe hilflos ist. - Invalidierung von Autonomiebestrebungen:
Versuche des Kindes, unabhängig zu werden, werden mit Ängstlichkeit oder Bestrafung durch die Eltern beantwortet. - Genetische Veranlagung:
Eine erhöhte Anfälligkeit für Ängstlichkeit und unterwürfiges Verhalten kann eine Rolle spielen.
Behandlung
Der Fokus der Psychotherapie liegt darauf, die Autonomie und das Selbstvertrauen der Betroffenen schrittweise aufzubauen.
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT):
Hilft bei der Identifizierung und Korrektur der Annahmen über Hilflosigkeit und Inkompetenz. Praktische Übungen zur Selbstständigkeit und Entscheidungskompetenz sind zentral. - Klärungsorientierte Psychotherapie (KOP):
Die KOP hat einen spezifischen Ansatz zur Behandlung der abhängigen Persönlichkeitsstörung entwickelt. Zentrale Strategien sind:- Klärung und Konfrontation der Schemata,
- Förderung von Autonomie und Verantwortung,
- Aufbau von Lösungsstrategien.
- Psychodynamische Therapie:
Kann helfen, die Ursprünge der Abhängigkeitsmuster in der Kindheit zu verstehen und zu bearbeiten, insbesondere die Konflikte um Abhängigkeit und Autonomie. - Medikamente:
Werden zur Behandlung von komorbiden Störungen wie Depressionen oder Angststörungen eingesetzt.
Herausforderungen in der Therapie
Auf den ersten Blick erscheinen Patienten mit Abhängiger Persönlichkeitsstörung oft kooperativ („pflegeleicht“) und sind bemüht, den Therapeuten zufriedenzustellen.
Die zentrale therapeutische Herausforderung liegt jedoch in der Ich-Syntonie der Störung und der verdeckten Manipulation:
- Geringe Änderungsmotivation:
Der abhängige Stil wird als einzig möglicher Weg angesehen und ist nicht zwingend leidvoll, solange eine Bezugsperson verfügbar ist. - Passiver Widerstand/Manipulation:
Der Patient versucht oft, den Therapeuten in die Rolle des Entscheidungsfällers oder Ratschlaggebers zu drängen, um die eigene Verantwortung abzugeben und die Abhängigkeit zu reproduzieren (Falle der Reinszenierung), was wiederum die abhängigen Muster verstärken kann.