Missbrauch

In der Psychologie bezieht sich der Begriff Missbrauch auf eine Form von Gewalt oder Vernachlässigung, die zu einer schwerwiegenden seelischen (psychischen) Verletzung führt und die Entwicklung sowie das Wohlbefinden eines Menschen nachhaltig beeinträchtigt. Er impliziert stets ein Machtgefälle und einen Vertrauensbruch.

Die Psychologie unterscheidet dabei verschiedene Hauptformen des Missbrauchs, die häufig als Traumata klassifiziert werden.

Hauptformen des Missbrauchs in der Psychologie

Missbrauch kann in unterschiedlichen Beziehungs- und Lebenskontexten auftreten (Kindheit, Partnerschaft, Arbeitsplatz).

1. Sexueller Missbrauch (Sexualisierte Gewalt)

Sexueller Missbrauch beschreibt jede sexuelle Handlung, die an oder vor einer Person vorgenommen wird, ohne deren freie, informierte und gleichberechtigte Zustimmung. Im Kindes- und Jugendalter ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese Zustimmung aufgrund von Abhängigkeit und mangelnder Reife nicht gegeben werden kann.

  • Beispiele:
    • Sexuelle Handlungen mit Kindern,
    • Belästigung,
    • Nötigung,
    • erzwungene Pornografie-Nutzung.

2. Psychischer Missbrauch / Psychische Misshandlung

Hierbei handelt es sich um ein wiederholtes, vorsätzliches Verhalten, das darauf abzielt, das Selbstwertgefühl, die Wahrnehmung und psychische Unversehrtheit des Opfers zu untergraben und Macht und Kontrolle zu gewinnen.

  • Beispiele:
    • Abwertung/Demütigung
      • Ziel:
        Zerstörung des Selbstwerts, Aufbau von Schamgefühlen.
      • Beschreibung:
        Ständige Kritik, Beschimpfungen, Bloßstellen, Sarkasmus, Beleidigungen, Herabwürdigen der Leistungen.
    • Gaslighting
      • Ziel:
        Schaffung von Selbstzweifel und Verlust der Urteilsfähigkeit.
      • Beschreibung:
        Gezielte Manipulation, bei der die Realität und die Erinnerungen des Opfers infrage gestellt werden („Das habe ich nie gesagt“, „Du bist verrückt“, „Du bildest dir das nur ein“).
    • Isolation
      • Ziel:
        Das Opfer wird hilflos und ist dem Täter ausgeliefert.
      • Beschreibung:
        Das Opfer wird von Freunden, Familie oder sozialen Kontakten ferngehalten; soziale Unterstützung wird diskreditiert.
    • Ignorieren/Schweigen
      • Ziel:
        Erzeugen von Angst, Schuldgefühlen und einem Gefühl der Wertlosigkeit.
      • Beschreibung:
        Bewusstes und langanhaltendes Schweigen, Anschweigen oder Nichtbeachten (als „Bestrafung“).
    • Drohungen
      • Ziel:
        Erzeugung von Furcht und Hypervigilanz (ständige Wachsamkeit).
      • Beschreibung:
        Androhung von Verlassenwerden, von körperlicher Gewalt oder anderer übler Konsequenzen.

3. Körperlicher Missbrauch / Körperliche Misshandlung

Jede vorsätzliche, nicht zufällige Anwendung von Gewalt, die zu körperlichen Schmerzen oder Verletzungen führt.

4. Vernachlässigung

Vernachlässigung ist die anhaltende und schwere Nichterfüllung der körperlichen und/oder psychischen Grundbedürfnisse eines Kindes oder einer schutzbedürftigen Person.

  • Beispiele:
    • Mangelnde Versorgung mit Nahrung,
    • Kleidung,
    • Hygiene,
    • fehlende emotionale Zuwendung,
    • mangelnde medizinische Betreuung oder
    • mangelnde Bildung.

Psychologische Folgen (Traumatisierung)

Missbrauch, insbesondere in der Kindheit, gilt als interpersonelles Trauma und kann zu langanhaltenden und komplexen psychischen Störungen führen.

Kurzfristige Symptome (oft unmittelbar)Langfristige Folgen (im Erwachsenenalter)
Akute Belastung: Angst, Schreckhaftigkeit, Alpträume, Schlafstörungen.Traumafolgestörungen: Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder Komplexe PTBS (K-PTBS).
Dissoziation: Gefühl der Loslösung von sich selbst oder der Umgebung als Schutzmechanismus.Affektregulationsstörungen: Unfähigkeit, intensive Gefühle zu steuern (häufig bei Borderline-Persönlichkeitsstörung).
Rückzug: Soziale Isolation, Vermeidung von Situationen, die an das Trauma erinnern.Beziehungsstörungen: Probleme mit Nähe und Vertrauen, Wiederholung dysfunktionaler Beziehungsmuster.
Kognitive Veränderungen: Schuld– und Schamgefühle, negatives Selbstbild.Psychische Störungen: Depressionen, Angststörungen, Essstörungen, Suchterkrankungen.

Neurobiologische Perspektive:

Wiederholte traumatische Erfahrungen, besonders in der Kindheit, können die Entwicklung des Gehirns und des Stresshormonsystems (HPA-Achse) nachhaltig verändern, was die emotionale Vulnerabilität im Erwachsenenalter erhöht.

Rolle der Psychotherapie

Die psychotherapeutische Behandlung von Missbrauchsopfern zielt darauf ab, die traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und die erworbenen dysfunktionalen Muster zu korrigieren.

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