Habituation
Habituation (deutsch: Gewöhnung) ist in der Psychologie und Neurobiologie die einfachste Form des Lernens und beschreibt die Abnahme einer Reaktion auf einen Reiz, wenn dieser wiederholt präsentiert wird und sich als irrelevant oder ungefährlich erweist.
Es ist ein grundlegender Mechanismus, der es Organismen ermöglicht, ihre Aufmerksamkeit auf neue oder potenziell wichtige Reize zu lenken, indem sie sich an Altes gewöhnen.
Merkmale und Funktionsweise
Die Habituation ist kein passives Phänomen wie sensorische Ermüdung (d.h., die Sinnesorgane werden nicht müde), sondern ein aktiver Lernprozess im zentralen Nervensystem.
Reizspezifisch
Die Habituation ist spezifisch für den gewöhnten Reiz. Wenn ein leicht anderer Reiz präsentiert wird, kommt es zur Dishabituation – die Reaktion tritt wieder in voller Stärke auf, weil das System erkennt, dass es sich um etwas Neues handelt.
Zeitliche Abnahme
Die Reaktion nimmt mit der Anzahl der Wiederholungen und der Dauer der Exposition ab.
Biologische Funktion
Die biologische Funktion der Habituation ist die Selektion von Reizen. Sie erlaubt es dem Gehirn, Energie und Aufmerksamkeit nur auf jene Reize zu konzentrieren, die eine tatsächliche Gefahr signalisieren oder neue Informationen bieten. Sie ist sozusagen ein Reizfilter.
Habituation in der klinischen Psychologie
Die Habituation ist ein Schlüsselprinzip in der Behandlung von Angststörungen, insbesondere in der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT).
Das Hauptziel der sogenannten Expositionstherapie (Konfrontationstherapie) ist es, die Habituation bewusst herbeizuführen:
- Ausgangslage (Angst):
Bei einer Angststörung (z.B. Agoraphobie oder Panikstörung) reagiert der Körper auf einen eigentlich harmlosen Reiz (z.B. Herzklopfen oder ein voller Platz) mit einer maximalen Angstreaktion. Der Patient flüchtet (Vermeidungsverhalten). - Exposition:
Der Patient wird dem angstauslösenden Reiz (z.B. einem vollen Kaufhaus) kontinuierlich und kontrolliert ausgesetzt, ohne zu flüchten. - Habituationsprozess:
Weil die erwartete Katastrophe (z.B. Ohnmacht oder Herzinfarkt) nicht eintritt, und der Körper nicht endlos Alarm schlagen kann, beginnt die anfängliche physiologische und emotionale Angstreaktion automatisch nachzulassen. - Lernprozess:
Der Patient lernt („korrigierende Erfahrung“), dass der Reiz ungefährlich ist und die Angst von selbst abklingt. Die Angstreaktion wird dadurch langfristig abgeschwächt oder gelöscht.