Bulimie
Die Bulimie (Bulimia nervosa), oft als Ess-Brech-Sucht bezeichnet, ist eine schwere psychische Erkrankung und zählt zu den Essstörungen. Sie ist durch einen Teufelskreis aus unkontrollierbaren Essanfällen und unangemessenen gegensteuernden Verhaltensweisen gekennzeichnet, die aus einer tief sitzenden Angst vor Gewichtszunahme resultieren.
Definition und Kernsymptome
Die Bulimie ist primär eine psychogene Störung, bei der das Selbstwertgefühl in übertriebenem Maße von der Figur und dem Körpergewicht abhängig gemacht wird.
1. Der Essanfall (Binge-Eating)
- Menge:
Verzehr einer erheblich größeren Nahrungsmenge in einem abgegrenzten Zeitraum (z. B. innerhalb von zwei Stunden), als die meisten Menschen unter ähnlichen Umständen essen würden. - Kontrollverlust:
Während des Anfalls erleben Betroffene ein Gefühl, das Essen nicht mehr stoppen oder kontrollieren zu können. - Ablauf:
Essanfälle sind oft heimlich und werden meist durch emotionale Belastung oder durch Hunger ausgelöst, der durch strikte Diätversuche entstand.
2. Kompensatorische Maßnahmen (Gegensteuerung)
Auf den Essanfall folgt die panische Angst vor Gewichtszunahme, die zu extremen Gegenmaßnahmen führt:
- Purging-Verhalten:
- Selbst herbeigeführtes Erbrechen (der häufigste Mechanismus).
- Missbrauch von Abführmitteln (Laxanzien) oder Entwässerungsmitteln (Diuretika).
- Nicht-Purging-Verhalten:
- Exzessive körperliche Aktivität (Sport wird zwanghaft zur Kalorienverbrennung eingesetzt).
- Strenges Fasten oder sehr restriktive Diäten.
Für die Diagnose müssen diese Essanfälle und Gegenmaßnahmen im Durchschnitt mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von drei Monaten auftreten.
Psychologischer Teufelskreis
Der Kreislauf der Bulimie ist psychologisch tief verankert und hält sich selbst aufrecht:
- Strenge Diät & Restriktion:
Aus der Angst vor Gewichtszunahme werden strenge Essensregeln aufgestellt (Verzicht auf „verbotene“ oder kalorienreiche Lebensmittel). - Psychische Spannung & Heißhunger:
Die körperliche und psychische Einschränkung führt zu starkem Heißhunger und emotionaler Überlastung. - Kontrollverlust & Essanfall:
Die Anspannung entlädt sich in einem Essanfall. Dieser dient oft kurzfristig zur Reduktion negativer Emotionen (Stress, Wut, Leere). - Scham & Angst:
Der Anfall führt zu massivem Selbstekel, Schuldgefühlen und der Furcht, dick zu werden. - Kompensation:
Die Gegenmaßnahmen (Erbrechen etc.) sind der verzweifelte Versuch, die verlorene Kontrolle zurückzugewinnen und die Kalorien „ungeschehen“ zu machen. Dieser Schritt verstärkt das Gefühl, die Essanfälle dadurch „korrigieren“ zu können, was den gesamten Kreislauf für die Zukunft stabilisiert.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Bulimie ist multikausal. Es spielen biologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren zusammen:
- Psychologisch:
Geringes Selbstwertgefühl, Perfektionismus, Impulsivität, Schwierigkeiten in der Emotionsregulation und im Umgang mit Stress. Häufig treten auch begleitende psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen auf. - Soziokulturell:
Das westliche Schönheitsideal der Schlankheit und gesellschaftlicher Druck können als Auslöser wirken. - Biologisch/Genetisch:
Eine genetische Anfälligkeit wird vermutet; neurobiologische Mechanismen können die Steuerung von Hunger und Sättigung beeinflussen.
Körperliche Folgen
Die wiederholten kompensatorischen Verhaltensweisen, insbesondere das häufige Erbrechen und der Missbrauch von Abführmitteln, können zu schwerwiegenden gesundheitlichen Schäden führen:
- Elektrolytstörungen (Hypokaliämie):
Durch Erbrechen und Laxanzien-Missbrauch kommt es zu einem Verlust von Salzen und Mineralien, insbesondere Kalium. Dies kann zu lebensgefährlichen Herzrhythmusstörungen führen. - Zahnschäden:
Die Magensäure greift beim Erbrechen den Zahnschmelz an (Erosionen). - Magen-Darm-Trakt:
Entzündungen der Speiseröhre (Ösophagitis), Sodbrennen, seltener Magenrisse oder Vergrößerung der Speicheldrüsen („Hamsterbäckchen“). - Wasserhaushalt:
Dehydratation und Ödeme (Wassereinlagerungen).
Behandlung
Da es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung handeln kann, ist eine professionelle Behandlung unerlässlich.
- Psychotherapie:
Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gilt als die effektivste Behandlungsmethode. Sie zielt darauf ab, das gestörte Essverhalten zu normalisieren, dysfunktionale Gedanken über Gewicht und Figur zu verändern und Fähigkeiten zur besseren Emotions– und Stressregulation zu entwickeln. - Medikamentöse Therapie:
Bestimmte Antidepressiva (z. B. der Wirkstoff Fluoxetin) können in Kombination mit Psychotherapie zur Reduktion der Essanfälle eingesetzt werden. - Behandlungsziel:
Primäres Ziel ist die Beendigung des Ess-Brech-Kreislaufs, die Normalisierung des Essverhaltens und die Stärkung des Selbstwerts.
Prognose
Die Prognose der Bulimie (Bulimia nervosa) ist im Allgemeinen als moderat bis gut einzustufen, insbesondere im Vergleich zur Anorexia nervosa (Magersucht). Ein wichtiger Faktor für den Behandlungserfolg ist der frühe Beginn einer professionellen Therapie.
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