Körperdysmorphe Störung
Die Körperdysmorphe Störung (KDS) ist eine tiefgreifende Störung der Selbstwahrnehmung und des Körperbildes. Sie ist durch eine intensive und übermäßige Fixierung auf einen eingebildeten oder geringfügigen Makel im eigenen Aussehen gekennzeichnet, was zu erheblichem Leidensdruck und massiven Beeinträchtigungen im Alltag führt.
Sie wird in den modernen Klassifikationssystemen (DSM-5 und ICD-11) den Zwangsspektrumsstörungen zugeordnet, da die Symptomatik oft durch zwanghafte Verhaltensweisen und ritualisiertes Kontrollieren dominiert wird.
Psychologische Mechanismen
Die psychologische Forschung betrachtet die KDS als Zusammenspiel von kognitiven, emotionalen und verhaltensbezogenen Mechanismen:
1. Kognitive Verzerrungen (Denkfehler)
Betroffene weisen typische Denkfehler auf, die den Teufelskreis der Störung aufrechterhalten:
- Selektive Aufmerksamkeit:
Die Aufmerksamkeit ist hyperfokussiert auf den wahrgenommenen Makel. Das Gehirn verarbeitet das eigene Aussehen tendenziell detailorientiert und überbetont negative Aspekte, während positive Aspekte ignoriert werden. - Katastrophale Interpretation:
Normale oder geringfügige Merkmale werden als entstellend, hässlich oder abstoßend interpretiert („Nur wenn ich perfekt aussehe, bin ich liebenswert“). - Überzeugungsstärke:
Die Einsichtsfähigkeit in Bezug auf die Diskrepanz zwischen der eigenen Wahrnehmung und der Realität ist oft minimal oder fehlt ganz (was die Behandlung erschwert).
2. Emotionen und Selbstwertgefühl
Die KDS ist eng mit dem Selbstwertgefühl verknüpft, das fast ausschließlich über das Aussehen reguliert wird.
- Negative Affekte:
Betroffene erleben häufig intensive Scham, Ekel, Abscheu und Angst vor Ablehnung. - Soziale Isolation:
Aufgrund der Angst, negativ beurteilt zu werden, resultiert häufig ein starkes Vermeidungsverhalten (Meiden von sozialen Situationen, Fotos, Spiegeln).
3. Zwanghafte Verhaltensweisen (Rituale)
Zur kurzfristigen Reduktion der Angst werden repetitiv-zwanghafte Verhaltensweisen gezeigt:
- Kontrollrituale:
Exzessives Überprüfen des Makels im Spiegel oder auf spiegelnden Oberflächen. - Kaschierrituale:
Übermäßiges Verstecken oder Modifizieren des Makels (z. B. durch Make-up, Kleidung, spezifische Körperhaltung). - Rückversicherungen:
Ständiges Fragen von Angehörigen nach dem eigenen Aussehen, was die Ängste paradoxerweise nur kurzfristig mindert und langfristig verstärkt.
Psychotherapeutische Behandlung
Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) gilt als die evidenzbasierte Behandlung der Wahl bei KDS.
- Psychoedukation & Störungsmodell: Aufklärung über die KDS und die Erarbeitung eines individuellen Störungsmodells, um zu verstehen, dass das Problem psychisch und nicht optisch ist.
- Kognitive Umstrukturierung: Gezieltes Hinterfragen und Korrigieren der dysfunktionalen kognitiven Schemata und Überzeugungen („Mein Wert hängt nicht von meinem Aussehen ab“).
- Exposition mit Reaktionsverhinderung: Dies ist ein zentraler Schritt. Patienten werden ermutigt, sich angstauslösenden Situationen (z. B. dem Spiegelblick, dem ungeschminkten Auftreten in der Öffentlichkeit) auszusetzen, während sie gleichzeitig ihre zwanghaften Rituale (Kontrolle, Kaschieren) unterlassen.
- Veränderung der Selbstwahrnehmung: Aufbau von Identitäten und Selbstwertquellen, die unabhängig vom äußeren Erscheinungsbild sind.
Oft wird die Psychotherapie mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) kombiniert, insbesondere bei schweren Verläufen oder ausgeprägter Komorbidität (z. B. Depressionen). Plastisch-chirurgische Eingriffe sind kontraindiziert, da sie die psychische Störung nicht beseitigen und die Unzufriedenheit meist verstärken.
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