Depression
Die Depression ist aus psychologischer Sicht eine komplexe psychische Störung und keine vorübergehende Traurigkeit. Sie betrifft das Fühlen, Denken und Handeln der betroffenen Person tiefgreifend und anhaltend.
Definition und Diagnostik (ICD-10/11)
Die Diagnose einer depressiven Episode wird gemäß der internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD-10 oder ICD-11) gestellt, wenn eine bestimmte Anzahl von Symptomen für mindestens zwei Wochen vorliegt und zu einer deutlichen Beeinträchtigung im Alltag führt.
Hauptsymptome (mindestens 2 erforderlich):
- Depressive, gedrückte Stimmung (anhaltende Traurigkeit, oft unabhängig von den Umständen).
- Interessenverlust und Freudlosigkeit (Anhedonie): Verlust der Fähigkeit, Freude zu empfinden (häufig das quälendste Symptom).
- Antriebsminderung mit erhöhter Ermüdbarkeit (selbst nach geringer Anstrengung).
Nebensymptome (je nach Schweregrad erforderlich):
- Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit.
- Geringes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen (Insuffizienzgefühle).
- Schuldgefühle und Gefühle von Minderwertigkeit.
- Rumination (Grübeln über die Hoffnungslosigkeit der eigenen Situation)
- Pessimistische und negative Zukunftsperspektiven (Hoffnungslosigkeit).
- Schlafstörungen (oft Früherwachen).
- Appetitverlust und Gewichtsverlust (manchmal auch das Gegenteil).
- Suizidgedanken oder -handlungen.
Die drei Schweregrade (Nach ICD-10)
Der Schweregrad wird durch die Kombination der erfüllten Haupt- und Zusatzsymptome bestimmt:
| Schweregrad (ICD-10 Code) | Kriterien | Funktionseinschränkung |
| Leichte Episode (F32.0) | Mindestens 2 Hauptsymptome und mindestens 2 Zusatzsymptome. | Die Betroffenen sind beeinträchtigt, können aber meistens ihre alltäglichen und beruflichen Aktivitäten mit großer Anstrengung fortsetzen. |
| Mittelgradige Episode (F32.1) | Mindestens 2 Hauptsymptome und 3 bis 4 Zusatzsymptome. | Die Betroffenen haben erhebliche Schwierigkeiten, ihre normalen alltäglichen, beruflichen oder sozialen Aktivitäten fortzusetzen. |
| Schwere Episode (F32.2 / F32.3) | Alle 3 Hauptsymptome und mindestens 4 Zusatzsymptome (wobei einige davon sehr schwer ausgeprägt sein müssen). | Die Betroffenen sind in der Regel nicht mehr in der Lage, ihre beruflichen, sozialen oder häuslichen Aktivitäten auszuüben. Es besteht oft die Notwendigkeit einer sofortigen, intensiven Behandlung oder stationären Aufnahme. |
Schwere Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3)
Diese stellt die schwerste Form dar. Neben den Kriterien für eine schwere depressive Episode treten psychotische Symptome auf (z. B. Wahnideen wie Verarmungswahn, Versündigungswahn oder Verkleinerungswahn, oder Halluzinationen). Diese Wahnvorstellungen sind oft stimmungskongruent, d.h., sie passen zum depressiven Erleben.
Psychologische Erklärungsmodelle der Entstehung
Die Psychologie bietet verschiedene Modelle zur Erklärung der Entstehung (Ätiologie) und Aufrechterhaltung der Depression, die oft biologische und soziale Faktoren ergänzen:
1. Kognitive Theorie (nach Aaron T. Beck)
Dieses Modell ist die Grundlage der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT).
- Kognitive Triade:
Depression entsteht durch drei zentrale, negative Denkmuster:- Negative Sicht auf sich selbst:
„Ich bin wertlos, unfähig, ein Versager.“ (Selbstabwertung, Schuldgefühle). - Negative Sicht auf die Umwelt:
„Meine Welt ist feindselig, meine Beziehungen sind zum Scheitern verurteilt.“ - Negative Sicht auf die Zukunft:
„Es wird nie besser werden, ich habe keine Hoffnung.“ (Hoffnungslosigkeit).
- Negative Sicht auf sich selbst:
- Kognitive Verzerrungen (Denkfehler):
Depressive Menschen neigen dazu, Informationen systematisch negativ zu verarbeiten (z. B.- Selektive Abstraktion, bei der nur negative Details beachtet werden;
- Katastrophisieren;
- Schwarz-Weiß-Denken).
Diese Denkfehler verstärken die depressive Stimmung und halten den Teufelskreis aufrecht.
2. Lerntheoretische Modelle
Diese Modelle betonen die Rolle von Erfahrungen und Lernen im Entstehungsprozess.
- Verstärker-Verlust-Theorie:
Depression entsteht durch einen Mangel an positiver Verstärkung (Belohnung, Anerkennung, soziale Kontakte) in der Umwelt. Das Verhalten der Person (z. B. Rückzug) führt zu noch weniger positiven Erfahrungen, was den Teufelskreis der Depression schließt. - Theorie der gelernten Hilflosigkeit (Seligman):
Nach wiederholten negativen Erfahrungen, die als unkontrollierbar erlebt wurden, lernt die Person, dass ihr Handeln keine Auswirkung auf das Ergebnis hat. Dies führt zu Passivität, Resignation und dem Gefühl der Hilflosigkeit.
3. Psychodynamische Modelle (nach Freud und Abwandlungen)
Diese Modelle sehen die Ursache oft in unbewältigten, frühkindlichen Konflikten, insbesondere mit Verlusten und Bindungen.
- Verlust und Introjektion:
Eine Depression wird als eine Reaktion auf den Verlust einer wichtigen Bezugsperson interpretiert. Der Schmerz und die Aggression gegenüber dem verlorenen Objekt werden nach innen gerichtet (Introjektion), was zu Selbstvorwürfen und Schuldgefühlen führt. - Narzisstische Depression:
Betont eine starke Abhängigkeit vom Spiegeln und der Anerkennung anderer für das Selbstwertgefühl. Der Verlust dieser externen Bestätigung führt zu einem Zusammenbruch des narzisstischen Gleichgewichts und zur Depression.
Psychotherapie der Depression
Die Psychotherapie ist eine der wirksamsten Behandlungen, oft in Kombination mit Antidepressiva. Das Ziel ist nicht nur die Symptomlinderung, sondern auch die Bearbeitung der zugrunde liegenden psychischen Mechanismen.
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
Die am besten untersuchte und am häufigsten eingesetzte Therapieform.
- Psychoedukation:
Aufklärung über die Erkrankung und den Teufelskreis der Depression. - Verhaltensaktivierung:
Systematische Planung und Durchführung positiver und Erfolg versprechender Aktivitäten, um dem Antriebsmangel entgegenzuwirken und positive Verstärker zu sammeln. - Kognitive Umstrukturierung:
Identifizierung und Überprüfung der negativen, irrationalen Gedanken (kognitive Verzerrungen) und deren Ersetzung durch realistischere, hilfreichere Gedanken.
Interpersonelle Psychotherapie (IPT)
Fokussiert auf die aktuellen zwischenmenschlichen Probleme der Betroffenen, da Depression oft im Kontext von Beziehungen entsteht oder diese belastet. Behandelt werden vier Problembereiche: ungelöste Trauer, Rollenkonflikte, Rollenwechsel und interpersonelle Defizite.
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Psychoanalyse
Diese Verfahren zielen auf die Bearbeitung der individuellen Konfliktkonstellationen und frühen Beziehungserfahrungen ab, die die depressive Anfälligkeit geschaffen haben. Im Fokus steht das Verständnis der unbewussten Dynamiken und des inneren Konflikts (z. B. zwischen Abhängigkeitswünschen und Autonomiebestrebungen).
Wichtig: Unabhängig vom Schweregrad ist eine professionelle Diagnostik und Behandlung durch einen Facharzt oder psychologischen Psychotherapeuten notwendig. Bei Suizidgedanken ist sofortige Hilfe erforderlich.
« zurück zur Seite: Psychotherapie | Arbeitsschwerpunkte
« zurück zum Glossar-Index