Krankheitsangststörung (Hypochondrie)
Die Krankheitsangststörung (im Englischen: Illness Anxiety Disorder) ist eine psychische Störung, die in den aktuellen Klassifikationssystemen (DSM-5) die traditionelle Bezeichnung Hypochondrie in Teilen abgelöst hat.
Sie ist charakterisiert durch die anhaltende und übermäßige Besorgnis oder Angst, eine schwere, fortschreitende oder lebensbedrohliche körperliche Krankheit zu haben oder zu entwickeln. Diese Angst basiert auf der Fehlinterpretation normaler oder geringfügiger körperlicher Empfindungen und bleibt trotz ausreichender medizinischer Abklärung und negativer Befunde bestehen.
Kernmerkmale und Definition
Die Diagnose der Krankheitsangststörung wird gestellt, wenn folgende Kriterien erfüllt sind:
- Übermäßige Angst:
Die Person ist exzessiv besorgt, eine ernste, nicht diagnostizierte Erkrankung zu haben. - Fehlinterpretation:
Normale Körperfunktionen (z. B. Herzklopfen, Schweißausbrüche, leichte Schmerzen, Magenknurren) werden fälschlicherweise als Anzeichen einer schweren Krankheit gedeutet. - Wenig/Keine Symptome:
Es sind entweder keine oder nur sehr milde körperliche Symptome vorhanden. Ist die Symptomatik ausgeprägter und der Leidensdruck liegt primär in der körperlichen Empfindung selbst, spricht man eher von einer Somatischen Belastungsstörung. - Dauer:
Die krankheitsbezogene Angst hält mindestens sechs Monate an. - Medizinische Beruhigung ist ineffektiv:
Wiederholte ärztliche Untersuchungen und negative Befunde führen nur zu kurzfristiger oder keiner Beruhigung. - Deutlicher Leidensdruck:
Die Besorgnis führt zu erheblichem Leiden und Beeinträchtigung in wichtigen Lebensbereichen (Beruf, Beziehungen).
Psychologisches Erklärungsmodell (KVT)
Die Krankheitsangststörung wird in der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) als ein sich selbst aufrechterhaltender Teufelskreis verstanden. Dieser Kreislauf verhindert eine korrigierende Erfahrung und verstärkt die Angst.
- Aufmerksamkeitsfokus (Scanning):
Eine chronische, erhöhte selektive Aufmerksamkeit ist auf den eigenen Körper gerichtet. - Trigger:
Normale oder unklare körperliche Signale (z. B. ein Muskelzucken, leichte Kopfschmerzen). - Katastrophale Bewertung:
Das Signal wird sofort als Beweis für die befürchtete Krankheit interpretiert. - Angst und physiologische Reaktion:
Die kognitive Bewertung löst starke Angst aus. Diese Angst selbst verstärkt die körperliche Erregung (z.B. Herzrasen, Schwindel), was die ursprüngliche Fehlinterpretation scheinbar bestätigt. - Sicherheitsverhalten/Vermeidung:
Die daraus resultierenden Verhaltensweisen sind kurzfristig beruhigend, halten die Störung aber langfristig aufrecht.
Zwei Typen des Verhaltens
Das Verhalten zur Angstbewältigung kann unterschiedlich ausgeprägt sein:
| Verhaltenstyp | Merkmale | Effekt |
| Aufsuchen (Care-Seeking) | Häufige Arztbesuche, Wechsel des Arztes, fordernde Untersuchungen, exzessive Internetrecherche. | Verhindert die Erfahrung, dass die Angst auch ohne medizinische Intervention abklingt. |
| Vermeidung (Care-Avoidant) | Vermeidung von Arztterminen, Vermeidung von Krankenhausnähe, Vermeidung von Berichten über Krankheiten. | Verhindert die notwendige beruhigende Information durch Fachpersonal. |
Behandlung
Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) ist die am besten untersuchte und wirksamste Methode zur Behandlung der Krankheitsangststörung.
1. Kognitive Umstrukturierung
Hierbei lernen die Klienten, ihre katastrophalen Gedanken zu identifizieren und zu hinterfragen. Ziel ist es, die Fehlinterpretation der Körpersignale zu korrigieren.
- Beispiel-Intervention: Der Klient wird aufgefordert, alternative, plausible Erklärungen für die Körpersensationen zu finden (z. B. „Das Stechen kommt von der Verspannung, nicht vom Tumor.“).
2. Exposition mit Reaktionsverhinderung (ERP)
Dies ist ein Schlüsselmechanismus. Der Klient wird aktiv dazu angeleitet, sein Sicherheitsverhalten zu unterlassen, um zu lernen, dass die Angst auch ohne Kontrollrituale abklingt und keine Katastrophe eintritt.
- Beispiel-Intervention: Verbot der Internetrecherche oder des ständigen Abtastens des Körpers für eine bestimmte Zeit.
3. Aufmerksamkeitslenkung
Techniken der Achtsamkeit (Mindfulness) und der Aufmerksamkeitsfokussierung werden eingesetzt, um die übermäßige Konzentration auf den Körper zu reduzieren und die Wahrnehmung auf die Außenwelt oder neutrale Reize zu lenken.
4. Psychoedukation
Detaillierte Aufklärung über die Wechselwirkungen von Angst und körperlichen Symptomen (z.B. Hyperventilation führt zu Schwindel, den man fälschlicherweise als Schlaganfall interpretiert). Dies dient der Entdramatisierung der körperlichen Signale.
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