EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing (auf Deutsch: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen).
Es handelt sich um eine evidenzbasierte Psychotherapiemethode, die ursprünglich zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) entwickelt wurde, heute aber auch bei anderen Störungen wie Angststörungen und chronischen Schmerzen angewendet wird. EMDR ist seit 2006 in Deutschland als wissenschaftlich anerkanntes Verfahren zur Behandlung der PTBS zugelassen.
Das Funktionsprinzip
Das zentrale Element der EMDR-Methode ist die bilaterale Stimulation, meist in Form von geführten Augenbewegungen.
Die Theorie besagt, dass traumatische oder stark belastende Erinnerungen im Gehirn dysfunktional gespeichert werden – oft fragmentiert und isoliert im impliziten Gedächtnis. Das liegt daran, dass der natürliche Informationsverarbeitungsprozess des Gehirns während des Traumas überlastet wird.
Die Rolle der Augenbewegungen
Während der Klient das traumatische Bild, die negativen Kognitionen und die körperlichen Empfindungen fokussiert, folgt er den Fingern des Therapeuten mit den Augen. Diese horizontalen Augenbewegungen (oder auch taktile Reize durch Taps oder akustische Reize) sollen den Informationsverarbeitungsprozess im Gehirn stimulieren:
- Aktivierung beider Gehirnhälften:
Die bilaterale Stimulation wird als eine Art „Rhythmusgeber“ oder „Enthemmung“ des hippocampal-amygdalären Systems angesehen. Sie ähnelt dem REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), in dem Erinnerungen normalerweise verarbeitet und integriert werden. - Neuverarbeitung:
Durch die Stimulation und die gleichzeitige Konzentration auf die Erinnerung wird das Trauma-Gedächtnis aus seiner isolierten, angstbesetzten Speicherung gelöst. Die Erinnerung verliert ihre emotionale Intensität und wird funktional ins biografische Gedächtnis integriert. - Resultat:
Das Ereignis wird weiterhin erinnert, aber die damit verbundenen intensiven Emotionen, körperlichen Reaktionen und negativen Überzeugungen (z. B. „Ich bin hilflos“) werden deutlich reduziert oder verschwinden.
Ablauf einer EMDR-Behandlung (8 Phasen)
Die Behandlung folgt einem streng strukturierten Vorgehen, das in der Regel acht Phasen umfasst:
1. Anamnese und Behandlungsplanung
Erfassung der traumatischen Ereignisse, Stabilisierung des Klienten und Aufbau einer sicheren therapeutischen Allianz.
2. Vorbereitung und Stabilisierung
Erlernen von Entspannungs– und Distanzierungstechniken (z. B. „Sicherer Ort“), um den Klienten auf die Konfrontation vorzubereiten und die Stabilisierung zwischen den Sitzungen zu gewährleisten.
3. Auswahl des Zielereignisses
Identifikation des spezifisch zu bearbeitenden traumatischen Ereignisses.
4. Desensibilisierung (Assessment)
Der Klient bewertet das Zielereignis:
- Negativkognition (NK):
Die negativste Überzeugung, die mit dem Ereignis verbunden ist (z. B. „Ich bin schuldig“). - Positivkognition (PK):
Die angestrebte neue, positive Überzeugung (z. B. „Ich habe überlebt“). - SUD-Skala:
Subjektive Belastung (Subjective Units of Disturbance) von 0 (keine) bis 10 (maximal).
5. Desensibilisierung (Durchführung)
Dies ist die eigentliche Verarbeitungsphase. Der Klient fokussiert das traumatische Material, während die bilateralen Augenbewegungen (Sets) durchgeführt werden, bis die Belastung auf der SUD-Skala auf 0 oder 1 sinkt.
6. Installation
Die angestrebte Positivkognition (PK) wird installiert und durch die Augenbewegungen verstärkt, bis sie sich plausibel anfühlt.
7. Körperscan
Der Klient scannt seinen Körper nach verbliebenen Spannungen oder Empfindungen. Werden welche gefunden, werden diese bearbeitet, bis der Körper als entspannt erlebt wird.
8. Abschluss und Wiederbewertung
Die Sitzung wird abgeschlossen, der Klient wird stabilisiert und die Fortschritte werden in der nächsten Sitzung überprüft.
Anwendungsbereiche
Obwohl EMDR primär für PTBS entwickelt wurde, wird es auch erfolgreich eingesetzt bei:
- Angststörungen und Phobien
- Chronischen Schmerzen
- Trauer und belastenden Verlusterlebnissen
- Zwangsstörungen (als ergänzendes Verfahren)