Attribution
Die Attribution (lateinisch attribuere = zuweisen) ist ein kognitiver Prozess, bei dem Menschen versuchen, Ursachen für das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Personen sowie für Ereignisse in ihrer Umwelt zu finden und diesen Ursachen Zuschreibungen zu machen.
Einfach ausgedrückt: Attribution ist der Prozess, bei dem wir uns fragen „Warum ist das passiert?“ oder „Warum hat er/sie das getan?“ und eine Antwort darauf finden.
Das Konzept wurde maßgeblich von Fritz Heider in den 1950er Jahren entwickelt, der die Menschen als „naive Wissenschaftler“ bezeichnete, die ständig versuchen, ihre Umwelt zu erklären und vorhersehbar zu machen.
Die Zwei Dimensionen der Attribution
Psychologen unterscheiden hauptsächlich zwischen zwei Hauptkategorien, denen eine Ursache zugeschrieben werden kann:
1. Internale (Personale) Attribution
Die Ursache des Verhaltens oder Ereignisses wird innerhalb der Person oder Sache selbst gesehen.
- Zuschreibung auf:
Persönlichkeit, Stimmung, Fähigkeit, Anstrengung, Absicht. - Beispiel:
„Er ist durch die Prüfung gefallen, weil er faul und undiszipliniert ist.“ (Zuschreibung auf die innere Eigenschaft Faulheit.)
2. Externale (Situationale) Attribution
Die Ursache des Verhaltens oder Ereignisses wird außerhalb der Person in der Umwelt oder Situation gesucht.
-
Zuschreibung auf:
Zufall, Glück, Schwierigkeit der Aufgabe, andere Personen, äußere Umstände. - Beispiel:
„Er ist durch die Prüfung gefallen, weil die Fragen unfair und viel zu schwer waren.“ (Zuschreibung auf die äußere Situation Schwierigkeit der Aufgabe.)
Das Kovariationsmodell (Harold Kelley)
Das Modell von Harold Kelley (1967) erklärt, wie wir systematisch entscheiden, ob wir eine internale oder externale Attribution vornehmen. Wir verwenden dazu drei Kriterien, um zu prüfen, ob das Verhalten über verschiedene Situationen hinweg kovariiert (variiert):
| Kriterium | Frage | Zuschreibung bei hoher Ausprägung |
| 1. Konsensus (Konsens) | Handeln andere Personen in dieser Situation genauso? | Externale Attribution (Wenn alle scheitern, liegt es an der Aufgabe.) |
| 2. Distinktheit (Unterschiedlichkeit) | Zeigt die Person dieses Verhalten auch in anderen ähnlichen Situationen/Objekten? | Externale Attribution (Wenn der Studierende nur in diesem Fach scheitert, liegt es am Fach.) |
| 3. Konsistenz (Beständigkeit) | Zeigt die Person dieses Verhalten über die Zeit hinweg immer wieder in dieser Situation? | Internale Attribution (Wenn der Studierende immer in der gleichen Prüfung scheitert, liegt es an seiner Fähigkeit.) |
Attributionsfehler (Biases)
Menschen sind keine perfekten „naiven Wissenschaftler“; unsere Attributionen unterliegen systematischen Verzerrungen (Fehlern):
1. Fundamentaler Attributionsfehler (FAE)
Die Tendenz, das Verhalten anderer Personen übermäßig durch internale Ursachen (Persönlichkeit, Charakter) und zu wenig durch externale Ursachen (Situation, Umstände) zu erklären.
- Beispiel:
Jemand fährt rücksichtslos. Wir denken: „Was für ein rücksichtsloser Fahrer!“ (internal) statt: „Vielleicht hat er einen Notfall.“ (external).
2. Akteur-Beobachter-Differenz
Die Tendenz, eigenes Verhalten eher external zu attribuieren, während das Verhalten anderer Personen eher internal attribuiert wird.
- Beispiel: Ich bin durchgefallen –> „Die Prüfung war unfair!“ (external).
- Du bist durchgefallen –> „Du hast nicht genug gelernt!“ (internal).
3. Selbstwertdienliche Verzerrung (Self-Serving Bias)
Die Tendenz, Erfolge der eigenen Person internal (Fähigkeit, Anstrengung) und Misserfolge der eigenen Person external (Pech, Ungerechtigkeit) zuzuschreiben.
- Ziel:
Den eigenen Selbstwert schützen und steigern. - Beispiel Erfolg:
„Ich habe die Prüfung dank meiner Intelligenz bestanden!“ (internal). - Beispiel Misserfolg:
„Ich habe nur Pech gehabt, der Prüfer mochte mich nicht!“ (external).
Die Attributionsforschung ist entscheidend für das Verständnis von Vorurteilen, Konflikten und therapeutischen Prozessen, da die Art, wie wir uns und andere erklären, unser emotionales Erleben und unsere Reaktionen bestimmt.
Attribution in der Psychopathologie und Psychotherapie
Die Attribution spielt bei nahezu allen psychischen Störungen eine Rolle, da sie die kognitive Verarbeitung beeinflusst.
Besonders relevant ist die Attribution jedoch bei folgenden Hauptkategorien psychischer Störungen:
1. Affektive Störungen (Depressionen)
Die Attribution ist ein zentrales Element in den kognitiven Modellen der Depression (z. B. der erlernten Hilflosigkeit und dem kognitiven Modell nach Beck).
- Pathologische Attributionsmuster bei Depression:
- Misserfolg:
Wird internal („Ich bin unfähig“), stabil („Das wird immer so sein“) und global („Ich bin in allen Bereichen schlecht“) attribuiert. - Erfolg:
Wird external („Ich hatte einfach Glück“) und instabil („Das wird nicht wieder passieren“) attribuiert.
- Misserfolg:
- Rolle:
Diese negative, selbstwertschädigende Attributionsweise führt zu Hoffnungslosigkeit und erhält das depressive Denkschema aufrecht.
2. Angststörungen (Phobien, Panikstörungen)
Bei Angststörungen spielt die Attribution eine entscheidende Rolle bei der Bewertung körperlicher Symptome und der Verantwortung für die Angstauslöser.
- Körperliche Symptome:
Angstpatienten neigen zur katastrophisierenden Attribution körperlicher Symptome.- Beispiel Panikstörung: Herzrasen wird internal und stabil als „Ich erleide einen Herzinfarkt“ attribuiert, obwohl die Ursache harmlos (Stress, Aufregung) ist.
- Kontrollattribution:
Die Angst resultiert oft aus der externalen Attribution der Kontrolle: Die Betroffenen sind überzeugt, dass die Angst durch äußere Umstände ausgelöst und nicht kontrolliert werden kann.
3. Persönlichkeitsstörungen (Borderline, Narzisstische PS)
Attributionsmuster sind hier oft stark selbstwertdienlich verzerrt und tragen zu zwischenmenschlichen Konflikten bei.
- Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS):
- Erfolg:
Wird internal und extrem überhöht auf eigene Großartigkeit attribuiert. - Misserfolg/Kritik:
Wird external auf die Fehler, Neid oder die Unfähigkeit anderer attribuiert (Schutz des fragilen Selbstwerts).
- Erfolg:
- Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS):
- Häufige feindselige Attributionsmuster in sozialen Situationen. Neutrales Verhalten anderer wird fälschlicherweise als feindselig, ablehnend oder bedrohlich interpretiert, was zu intensiven affektiven Reaktionen führt.
4. Paarkonflikte und Beziehungsstörungen
Obwohl keine formelle „Störung“, sind pathologische Attributionsmuster die Hauptursache für viele Beziehungsprobleme.
- Attributionsmuster bei Konflikten (Paare):
- Partnerverhalten:
Negatives Verhalten des Partners wird internal („Du bist egoistisch“) und stabil („Du bist immer so“) attribuiert. - Eigenes Verhalten:
Negatives eigenes Verhalten wird external auf die Umstände oder das Verhalten des Partners attribuiert („Ich habe nur reagiert, weil du…“).
- Partnerverhalten:
Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und die Kognitive Therapie (KT) setzen an diesen Attributionsmustern an, um sie zu identifizieren, zu hinterfragen und in funktionalere, realistischere Muster umzuwandeln.
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