Focusing
Focusing ist eine erlebnisorientierte Methode aus der humanistischen Psychologie, die von Eugene Gendlin (einem Schüler von Carl Rogers) in den 1960er Jahren entwickelt wurde. Sie zielt darauf ab, Zugang zu einem inneren, vorbegrifflichen Wissen zu erhalten, das in der körperlichen Empfindung verwurzelt ist.
Focusing wird häufig in der Klärungsorientierten Psychotherapie (KOP) eingesetzt, um emotionale Prozesse zu vertiefen und innere Konflikte zu klären.
Kernkonzept: Der „Felt Sense“
Das zentrale Element der Focusing-Methode ist der „Felt Sense“ (gefühlte Bedeutung, gefühlte Empfindung).
- Definition:
Der Felt Sense ist eine vage, zunächst unspezifische und körperlich spürbare Empfindung, die sich im Körper (oft im Bauch-, Brust- oder Halsbereich) manifestiert. Er repräsentiert die komplette Bedeutung einer bestimmten Situation, eines Problems oder eines Konflikts, bevor diese Bedeutung kognitiv oder sprachlich erfasst wurde. - Charakteristik:
Er ist mehr als eine reine Emotion (wie „Angst“ oder „Trauer„); er ist die gesamte, komplexe Bedeutung einer Situation, die der Körper als eine einzige, zusammenhängende Sensation hält. - Ziel:
Die Methode lehrt, wie man diese unscharfe körperliche Empfindung aktiv und wohlwollend wahrnimmt, hält und erforscht, bis sich eine neue Erkenntnis oder ein Lösungsschritt (der sogenannte „Shift“) einstellt.
Die sechs Schritte des Focusing
Gendlin beschrieb sechs Hauptschritte, die im Focusing-Prozess durchlaufen werden, um den Felt Sense zu klären:
- Clearing a Space (Raum schaffen):
Den Körper entspannen und innerlich Raum schaffen, indem man die aktuellen Probleme oder Sorgen auf eine mentale Liste setzt und sie vorübergehend beiseiteschiebt, um sich nicht überwältigen zu lassen. - Felt Sense bilden:
Den Körper bitten, eine Gesamtsumme der Empfindungen oder des unklaren Problems zu geben. Die Aufmerksamkeit wird auf den Körperstamm gerichtet, um zu spüren, wo sich die Problematik als vage Empfindung bemerkbar macht. - Handle finden (Umgangsweise):
Der Felt Sense wird umschrieben, bis ein Wort, ein Bild, eine Geste oder ein Satz gefunden wird, der diese körperliche Empfindung perfekt umschließt und resoniert.- Beispiel: Die Empfindung ist „eng“ oder „ein schwerer Stein“.
- Resonanz und Überprüfung:
Das gefundene Handle wird immer wieder mit dem Felt Sense im Körper abgeglichen. „Passt dieses Wort (oder Bild) genau zu der Empfindung?“ Wenn es genau passt, tritt eine leichte, spürbare körperliche Entspannung auf. - Fragen und Erforschen:
Der Felt Sense wird befragt, um die Bedeutung freizusetzen. Fragen sind sanft und offen („Was an dieser ganzen Sache ist es, das sich so… anfühlt?“). - Empfangen (Receiving):
Die neue Erkenntnis (Shift) wird angenommen, ohne sie sofort zu analysieren. Der Körper reagiert mit einem Gefühl der Erleichterung oder einer neuen, frischen Energie.
Therapeutische Relevanz
Focusing ist besonders wertvoll in der Psychotherapie, weil es:
- Alexithymie begegnet:
Es hilft Menschen mit Alexithymie (keine Worte für Gefühle), ihre inneren Zustände überhaupt wahrzunehmen, indem es einen Umweg über die Körpersignale nimmt. - Tiefes Erleben ermöglicht:
Es geht über die reine kognitive Analyse von Problemen hinaus und führt zu einer leiblichen, tieferen Einsicht, die oft nachhaltiger ist als nur intellektuelles Verstehen. - Somatisierung auflöst:
Es ermöglicht, dass unverarbeitete emotionale Ladung, die somatisiert wurde, bewusst gemacht und im psychischen Raum verarbeitet wird.