Impulskontrollstörungen
Störungen der Impulskontrolle (Impulse-Control Disorders) sind eine Gruppe von psychischen Störungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass Betroffene wiederholt dem Drang (Impuls) nicht widerstehen können, eine Handlung auszuführen, die oft schädlich für sie selbst oder andere ist.
Dem Handeln geht typischerweise ein Gefühl von Spannung oder Erregung voraus, das durch die Ausführung der Handlung gelöst wird, gefolgt von einem Gefühl der Erleichterung oder manchmal Schuld.
Einordnung und Klassifikation (DSM-5 / ICD-11)
Im DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) werden die traditionellen Störungen der Impulskontrolle in einem eigenen Kapitel (Disruptive, Impulskontroll- und Verhaltensstörungen) geführt.
Im ICD-11 (International Classification of Diseases, 11th Revision) sind sie teilweise in spezifischen Kategorien oder in den „Störungen aufgrund süchtigen Verhaltens“ (Disorders due to addictive behaviours) untergebracht, was die heutige Sichtweise auf die Ähnlichkeit mit Suchterkrankungen widerspiegelt.
Die Klassischen Störungen der Impulskontrolle
Die traditionelle Kategorie umfasst spezifische, nicht-substanzgebundene Verhaltensweisen:
1. Pyromanie (Pathologische Brandstiftung)
- Definition:
Das wiederholte, bewusste und absichtliche Feuerlegen. - Motivation:
Die Betroffenen empfinden vor der Tat eine starke Spannung und nach der Tat Faszination, Erleichterung oder Lust am Feuer. Der Antrieb ist nicht monetärer Gewinn oder politischer Aktivismus.
2. Kleptomanie (Pathologisches Stehlen)
- Definition:
Das wiederholte, nicht widerstehliche Stehlen von Objekten, die oft nicht von persönlichem Nutzen oder von großem Wert sind. - Motivation:
Das Stehlen dient der Lösung der Spannung; es geht nicht um den materiellen Gewinn oder die Rache, sondern um den Impuls selbst.
3. Pathologisches Glücksspiel (Gambling Disorder)
- Definition:
Anhaltendes und wiederkehrendes problematisches Glücksspielverhalten, das zu erheblichen Beeinträchtigungen oder Leiden führt. - Anmerkung:
Das Pathologische Glücksspiel ist im DSM-5 bereits in das Kapitel „Störungen im Zusammenhang mit Substanzen und süchtigem Verhalten“ verschoben worden, was seine enge Verwandtschaft zu Suchtmechanismen unterstreicht.
4. Trichotillomanie und Dermatillomanie
- Trichotillomanie (Haare ausreißen):
Das wiederholte, unwiderstehliche Ausreißen der eigenen Haare. - Dermatillomanie (Skin Picking):
Das wiederholte, unwiderstehliche Zupfen oder Kratzen der eigenen Haut. - Anmerkung:
Diese Störungen wurden im DSM-5 in das Kapitel „Zwangsspektrumstörungen„ (OCD and Related Disorders) verschoben, da sie starke Ähnlichkeiten zu zwanghaften und repetitiven Verhaltensweisen aufweisen.
Psychologische Mechanismen
Die psychologischen Erklärungen der Störungen der Impulskontrolle betonen ein Defizit in der Hemmungsfähigkeit (Response Inhibition):
- Defizit in der Exekutivfunktion:
Es liegt eine Schwäche in den kognitiven Funktionen vor, die für die Planung, Steuerung und Hemmung von Reaktionen zuständig sind (oft in Verbindung mit einer Dysfunktion im präfrontalen Kortex). - Spannungsregulation:
Das impulsive Verhalten dient als primäre, wenn auch kurzfristig wirksame, Methode zur Regulierung unangenehmer emotionaler Zustände (z.B. Langeweile, Angst, Wut). Die Ausführung der Tat führt zu einer sofortigen negativen Verstärkung (Wegfall der Spannung), was das Verhalten langfristig beibehält. - Konditionierung:
Das impulsive Verhalten wird durch die unmittelbare Entspannung konditioniert und wird zur festen Bewältigungsstrategie.
Die Therapie basiert meist auf der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), insbesondere der Habit Reversal Training (HRT) für körperbezogene repetitive Verhaltensweisen und der Arbeit an der Impulskontrolle und Emotionsregulation.
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