Erlernte Hilflosigkeit

Die Erlernte Hilflosigkeit (engl. Learned Helplessness) ist ein Konzept der Psychologie, das beschreibt, wie ein Organismus (Mensch oder Tier) die Motivation und Fähigkeit zur aktiven Reaktion auf negative Ereignisse verliert, nachdem er wiederholt die Erfahrung gemacht hat, diese Ereignisse nicht kontrollieren oder beeinflussen zu können.

Dieses Phänomen wurde maßgeblich vom Psychologen Martin Seligman in den 1960er Jahren durch Experimente entwickelt und hat wichtige Implikationen für das Verständnis und die Behandlung von Depressionen.

Das Experiment und die Theorie

1. Die ursprünglichen Experimente (Hunde)

In klassischen Experimenten wurden Hunde in drei Gruppen eingeteilt:

  • Kontrollgruppe:
    Erhielt keine Elektroschocks.
  • Fluchtgruppe:
    Konnte einen Elektroschock durch Drücken eines Hebels beenden.
  • Hilflose Gruppe:
    Erhielt Schocks, die sie nicht beenden konnten (die Schocks endeten nur, wenn ein Hund der Fluchtgruppe seinen Schock beendete).

In der zweiten Phase wurden alle Hunde in eine Shuttle-Box gesetzt, die durch eine kleine Barriere geteilt war. Ein Lichtsignal kündigte den Schock an, und der Hund konnte durch Springen über die Barriere in den sicheren Bereich entkommen.

  • Ergebnis:
    Die Hunde der Hilflosen Gruppe unternahmen kaum Fluchtversuche; sie legten sich nach wenigen Versuchen hin und ertrugen die Schocks passiv. Sie hatten gelernt, dass ihre Handlungen keine Konsequenzen haben – sie waren hilflos geworden.

2. Die Kognitive Erweiterung (Attributionen)

Seligman und Abramson erweiterten das Modell später um eine kognitive Komponente (Reformulierte Theorie der Erlernten Hilflosigkeit). Sie erkannten, dass Menschen die Ursachen für ihre Hilflosigkeit zuschreiben (Attributionen).

Das Gefühl der Hilflosigkeit ist am stärksten, wenn Misserfolge internal, stabil und global attribuiert werden:

Dimension Negatives Ereignis… Wirkung
Internal vs. External …liegt an mir. (Internal) Führt zu geringem Selbstwertgefühl („Ich bin unfähig.“).
Stabil vs. Instabil …ist dauerhaft. (Stabil) Führt zu chronischer Hilflosigkeit („Das wird immer so sein.“).
Global vs. Spezifisch …betrifft mein ganzes Leben. (Global) Führt zu Generalisierung der Hilflosigkeit auf alle Lebensbereiche.

Bedeutung für die Psychologie

Die Erlernte Hilflosigkeit ist ein bedeutender Risiko- und Erklärungsfaktor für psychische Störungen, insbesondere für die Major Depression:

Therapeutische Implikationen

Die Therapie zielt darauf ab, die Hilflosigkeit zu „verlernen“ und die Selbstwirksamkeitserwartung zu erhöhen:

  1. Kognitive Umstrukturierung:
    Veränderung der Attributionsstile (Weg von „internal, stabil, global“).
  2. Verhaltensaktivierung:
    Klienten werden dazu ermutigt, sich wieder aktiv kleinen, kontrollierbaren Aufgaben zu stellen, um Kontrollerfahrungen zu sammeln (z. B. durch schrittweisen Aufbau von Aktivitäten in der KVT).
  3. Psychoedukation:
    Klärung des Zusammenhangs zwischen Ereignissen und Reaktionen, um das Gefühl der Ohnmacht zu reduzieren.
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