Double-Bind-Theorie

Die Double-Bind-Theorie (Doppelbindungstheorie) ist ein Konzept aus der Kommunikationspsychologie und der Systemischen Familientherapie, das in den 1950er Jahren von dem Anthropologen Gregory Bateson und seinem Forschungsteam (darunter Jay Haley und Don D. Jackson) entwickelt wurde.

Kern des Konzepts: Die Unlösbare Zwickmühle

Der Double-Bind beschreibt eine spezifische, paradoxe Kommunikationssituation, in der eine Person (der Empfänger) eine Botschaft erhält, die sie in eine unlösbare emotionale Zwickmühle bringt.

Die Situation ist bindend, weil der Empfänger von der Beziehung zum Sender (oft ein Elternteil) abhängig ist und sie nicht verlassen kann. Der Empfänger ist gefangen und kann auf keine der Botschaften angemessen reagieren, ohne die andere zu verletzen und eine Bestrafung zu riskieren.

Die 5 Zentralen Merkmale

Damit eine Kommunikationssituation als echter Double-Bind gilt, müssen folgende fünf Kriterien chronisch und wiederkehrend erfüllt sein:

1. Zwei oder mehr Personen (Die intensive Beziehung)

Ein Double-Bind entsteht in einer intensiven, oft existentiellen Beziehung, aus der der Empfänger nur schwer oder gar nicht entkommen kann. Typischerweise handelt es sich um eine Kind-Eltern-Beziehung, in der die Existenz und emotionale Sicherheit des Kindes vom Sender abhängen.

2. Wiederholte Erfahrung

Das Muster der widersprüchlichen Kommunikation ist nicht nur einmalig, sondern wird im Leben des Empfängers chronisch und immer wiederkehrend erlebt. Dies verhindert, dass der Empfänger lernt, die Kommunikation rational zu entschlüsseln.

3. Zwei widersprüchliche Botschaften

Der Sender der Botschaft vermittelt zwei Ebenen von Anweisungen, die sich ausschließen:

  • Ebene 1 (Verbal/Explizit):
    Die offene, sprachliche Botschaft („Komm her, ich möchte dich umarmen.“).
  • Ebene 2 (Nonverbal/Implizit):
    Eine Botschaft auf einer abstrakteren Ebene, die die erste negiert (z. B. ein abweisender Tonfall oder eine angespannte, steife Körpersprache).

4. Unmöglichkeit der Flucht

Der Empfänger ist in der Situation gefangen und kann weder die Kommunikation beenden (Flucht) noch den Widerspruch thematisieren (Metakommunikation). Das Ansprechen des Widerspruchs wird sanktioniert (z. B. mit Liebesentzug oder Wut).

5. Sanktionen bei Nichterfüllung

Egal wie der Empfänger reagiert, er verliert immer. Die Befolgung der einen Botschaft führt zur Verletzung der anderen und zur Sanktion (z. B. Schuldgefühle, Angst, Bestrafung).

Beispiel: Ein Kind geht auf die liebevollen Worte der Mutter (Ebene 1) ein und versucht sie zu umarmen, wird aber durch ihre steife Körpersprache (Ebene 2) abgewiesen. Das Kind wird bestraft, weil es der verbalen Anweisung gefolgt ist. Wenn es nicht reagiert, wird es ebenfalls bestraft, weil es die verbale Aufforderung ignoriert hat.

Psychische und Kognitive Folgen

Der chronische Double-Bind führt zu schwerwiegenden psychischen und kognitiven Folgen, da er die Fähigkeit zur Realitätsprüfung zerstört:

  • Verwirrung und Misstrauen:
    Die Person lernt, den eigenen Wahrnehmungen, Emotionen und der Logik zu misstrauen, da sie ständig durch widersprüchliche externe Signale negiert werden.
  • Kognitive Lähmung:
    Die Unmöglichkeit, eine „richtige“ Antwort zu finden, führt zu einem Zustand der Lähmung und zur Vermeidung von Entscheidungen.
  • Verzerrte Kommunikation:
    Um den Konflikt zu spüren und gleichzeitig zu vermeiden, kann das Opfer beginnen, selbst in widersprüchlichen, metaphorischen oder unklaren Mustern zu kommunizieren.

Ursprüngliche Theorie und Heutige Sicht

Ursprünglicher Kontext

Bateson postulierte die Double-Bind-Theorie ursprünglich als einen ätiologischen (ursächlichen) Faktor für die Schizophrenie. Er vermutete, dass das chronische Leben in einem Double-Bind die Fähigkeit des Gehirns, Kommunikation und Realität kohärent zu ordnen, überfordern und somit zur Entwicklung psychotischer Symptome beitragen könnte.

Heutige Sicht

Heute wird die Double-Bind-Theorie nicht mehr als alleinige Ursache für Schizophrenie angesehen. Genetische und biologische Faktoren spielen eine viel größere Rolle.

Dennoch bleibt die Theorie ein extrem wichtiges Konzept in der Psychologie, insbesondere in der Systemischen Therapie:

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