Neurotizismus
Neurotizismus (engl. Neuroticism) ist eine der fünf Hauptdimensionen des Fünf-Faktoren-Modells (Big Five) der Persönlichkeit. Es beschreibt die überdauernde Tendenz eines Menschen, negative Emotionen wie Angst, Sorge, Reizbarkeit, Traurigkeit und Unsicherheit häufig und intensiv zu erleben.
Personen mit einem hohen Neurotizismus-Wert neigen dazu, ihre Umwelt als bedrohlicher und stressiger wahrzunehmen und auf negative Ereignisse stärker und länger emotional zu reagieren als Personen mit niedriger Ausprägung.
Merkmale von hohem Neurotizismus
Neurotizismus wird oft als emotionale Instabilität oder emotionale Labilität beschrieben und äußert sich in folgenden Facetten:
- Ängstlichkeit:
Hohe Besorgnis, Nervosität und die Tendenz, sich über Dinge Sorgen zu machen, die selten eintreten. - Feindseligkeit/Ärger:
Tendenz zu Frustration, Wut, Groll und Reizbarkeit. - Depressivität:
Gefühl von Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit. - Soziale Befangenheit:
Schüchternheit und Unbehagen in sozialen Situationen; Angst vor Ablehnung. - Impulsivität:
Schwierigkeiten, Verlangen und Triebe zu kontrollieren (oft im Zusammenhang mit negativen Emotionen). - Verwundbarkeit/Labilität:
Das Gefühl, unter Stress leicht überfordert und emotional instabil zu sein.
Auswirkungen auf die Psychische Gesundheit
Neurotizismus gilt als der stärkste Persönlichkeitsprädiktor für die Entwicklung psychischer Störungen:
- Risikofaktor:
Hoher Neurotizismus erhöht signifikant das Risiko für die Entwicklung von Angststörungen, Depressionen und anderen affektiven Störungen. - Stressverarbeitung:
Personen mit hohem Neurotizismus neigen zu ineffizienten Coping-Strategien (z.B. Grübeln, Vermeidung) und erleben alltägliche Ereignisse schneller als Stressoren. - Krankheitsbewältigung:
Die Neigung zur negativen Selbstwahrnehmung kann die Krankheitsbewältigung erschweren.
Neurotizismus und Resilienz
Personen mit niedrigem Neurotizismus werden oft als emotional stabil, ausgeglichen, ruhig und gelassen beschrieben.
- Funktion:
Sie sind in der Lage, auch unter Stress ruhig zu bleiben, erholen sich schnell von negativen Ereignissen und neigen weniger zu irrationalen Ängsten. - Resilienz:
Niedriger Neurotizismus ist ein Schlüsselbestandteil der psychischen Resilienz (Widerstandsfähigkeit).
Biologische und Entwicklungstheoretische Aspekte
- Vererbbarkeit:
Neurotizismus ist eine der Persönlichkeitsdimensionen mit der höchsten genetischen Vererbbarkeit (Schätzungen liegen oft bei 40–60 %). - Neurobiologie:
Es wird angenommen, dass Neurotizismus mit einer erhöhten Empfindlichkeit des Limbischen Systems (insbesondere der Amygdala, dem Angstzentrum) und einer Dysregulation der Stresshormonachse (HPA-Achse) zusammenhängt.
In der Psychotherapie wird bei Menschen mit hohem Neurotizismus oft daran gearbeitet, Emotionsregulation zu erlernen, katastrophisierende Denkmuster (Kognitive Verhaltenstherapie) zu korrigieren und Entspannungstechniken zu etablieren.
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