Autonomie

In der Psychologie bezieht sich Autonomie auf die Selbstbestimmung und die Fähigkeit eines Individuums, sein Leben und Handeln unabhängig, eigenverantwortlich und im Einklang mit den eigenen Werten und Zielen zu gestalten. Sie ist ein zentrales Konzept in verschiedenen psychologischen Theorien, insbesondere in der Humanistischen Psychologie und der Selbstbestimmungstheorie.

Autonomie in der Selbstbestimmungstheorie (SDT)

Die bekannteste und einflussreichste Definition der Autonomie stammt aus der Self-Determination Theory (SDT) von Richard Ryan und Edward Deci. Sie definieren Autonomie als eines von drei angeborenen psychologischen Grundbedürfnissen, die für menschliches Wachstum, Wohlbefinden und Motivation entscheidend sind.

  • Das Autonomiebedürfnis:
    Bezieht sich auf das Gefühl, der Verursacher des eigenen Handelns zu sein und die Entscheidungen über das eigene Leben treffen zu können.
  • Wichtig:
    Autonomie bedeutet hier nicht Isolation oder Unabhängigkeit von anderen, sondern die Wahlfreiheit und das Gefühl der persönlichen Zustimmung zu den eigenen Handlungen. Eine Person handelt autonom, wenn sie eine Handlung als ihre eigene empfindet und diese mit ihren inneren Werten übereinstimmt – selbst wenn die Handlung von außen gefordert wird.

Die Erfüllung des Autonomiebedürfnisses führt zu intrinsischer Motivation (Handeln aus Freude und Interesse) und psychischem Wohlbefinden.

Autonomie in der Entwicklungspsychologie

Die Entwicklung der Autonomie beginnt bereits im frühen Kindesalter und ist ein lebenslanger Prozess.

  • Erik Eriksons psychosoziales Modell:
    In Eriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung wird die Phase des frühen Kindesalters (ca. 18 Monate bis 3 Jahre) als Stadium „Autonomie vs. Scham und Zweifel“ beschrieben. In dieser Phase lernen Kinder, ihren Willen auszuüben (z. B. durch Laufen, Sprechen, Essen) und ihren Körper zu kontrollieren. Die erfolgreiche Bewältigung führt zur Tugend des Willens und zur Entwicklung eines grundlegenden Selbstvertrauens in die eigenen Fähigkeiten.
  • Adoleszenz:
    Die Autonomieentwicklung erreicht in der Jugend einen Höhepunkt, wenn sich junge Menschen von ihren Eltern abgrenzen und eine eigene Identität, eigene Werte und unabhängige Entscheidungsfähigkeiten entwickeln.

Autonomie und Psychische Gesundheit

Die Wahrnehmung von Autonomie ist eng mit der psychischen Gesundheit verbunden:

  • Gestörte Autonomie:
    Kann sich in Überanpassung, einem Gefühl der Fremdbestimmung oder dem Fehlen einer klaren Selbstidentität manifestieren.
  • Wiederherstellung der Autonomie:
    Ist ein zentrales Ziel vieler Psychotherapien. Sie beinhaltet, die Klienten dabei zu unterstützen, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihre Gefühle und ihr Verhalten zu übernehmen.
  • Autonomie und Achtsamkeit:
    Autonomie setzt eine gewisse Selbstreflexion voraus, um zu erkennen, was wirklich eigene Wünsche sind und was von außen auferlegte Erwartungen.

Autonomie in der Psychotherapie

Autonomie ist in der Psychotherapie ein fundamental wichtiges Ziel und ein zentrales Prinzip der Behandlung. Sie bedeutet, den Klienten dabei zu unterstützen, ein höheres Maß an Selbstbestimmung, Eigenverantwortlichkeit und Wahlfreiheit in seinem Leben zu erlangen.

Das Ziel: Erlangung von Selbstbestimmung

In der Psychotherapie ist Autonomie eng mit dem psychologischen Grundbedürfnis nach Selbstbestimmung (im Sinne der Self-Determination Theory) verknüpft. Das therapeutische Ziel ist es, den Klienten zu befähigen, Handlungen aus innerer Überzeugung zu vollziehen und nicht aus äußeren Zwängen oder verinnerlichten, einschränkenden Mustern.

  • Autonomie als Heilung:
    Viele psychische Probleme (wie Depression, Angststörungen, Burnout) gehen mit einem Gefühl der Fremdbestimmung oder Hilflosigkeit einher. Die Wiederherstellung der Autonomie ist daher ein wesentlicher Schritt zur Heilung und Steigerung des psychischen Wohlbefindens.

Autonomie als Therapeutisches Prinzip

Autonomie ist nicht nur ein Ziel, sondern auch ein wichtiges Prinzip, das die therapeutische Haltung und Interaktion leitet:

  • Klientenorientierung:
    Der Therapeut respektiert die Autonomie des Klienten, indem er dessen Werte, Ziele und Entscheidungen respektiert. Der Klient wird als Experte für sein eigenes Leben angesehen.
  • Wahlfreiheit:
    Dem Klienten wird aktiv die Wahl gelassen (z.B. bei der Auswahl von Interventionen oder der Gestaltung der nächsten Sitzung), um das Gefühl der Kontrolle zu stärken.
  • Eigenverantwortung:
    Der Therapeut fördert die Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle und das eigene Verhalten, anstatt die Ursachen nur bei anderen zu suchen.

Förderung der Autonomie in der Therapie

Die Therapie nutzt verschiedene Methoden, um die Selbstbestimmung zu stärken:

Methode Beschreibung
Bewusstmachung Helfen, eigene Bedürfnisse und Werte von äußeren Erwartungen und Zwängen zu unterscheiden.
Kognitive Umstrukturierung Identifizieren und Verändern von Glaubenssätzen wie „Ich muss immer perfekt sein“ oder „Ich kann das nicht allein“, die die Autonomie einschränken.
Entscheidungstraining Üben, eigenständige Entscheidungen zu treffen und die Konsequenzen zu tragen, beginnend mit kleinen Entscheidungen.
Ressourcenaktivierung Stärken der Kompetenzerfahrung, um das Gefühl der Selbstwirksamkeit zu erhöhen („Ich schaffe das“).
Abgrenzung Erlernen von Techniken zur gesunden Abgrenzung von anderen (z.B. „Nein“ sagen), um die eigenen Grenzen zu wahren.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Autonomie in der Psychotherapie bedeutet, dass der Klient lernt, sich selbst zu steuern und zum aktiven Gestalter seines Lebens zu werden.

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