Chronischer Stress

Chronischer Stress (auch: Dauerstress) bezeichnet einen Zustand langfristiger oder wiederholter Aktivierung des Stresssystems, bei dem die betroffene Person das Gefühl hat, die Anforderungen der Umwelt dauerhaft nicht mehr bewältigen zu können. Im Gegensatz zu akutem Stress, der kurzfristig die Leistung steigert, führt chronischer Stress zu körperlicher und psychischer Erschöpfung sowie zu weitreichenden gesundheitlichen Schäden.

Die Physiologie des chronischen Stresses

Das zentrale Modell zur Erklärung der physiologischen Reaktion ist das Allgemeine Anpassungssyndrom (AAS) nach Hans Selye und die Aktivierung der HPA-Achse.

  • HPA-Achse (Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse):
    Die zentrale Stressachse des Körpers. Bei chronischem Stress bleibt diese Achse dauerhaft aktiviert.

    1. Hypothalamus:
      Schüttet CRH (Corticotropin-Releasing Hormon) aus.
    2. Hypophyse:
      Schüttet ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) aus.
    3. Nebennierenrinde:
      Schüttet das Stresshormon Kortisol aus.
  • Kortisol:
    Das primäre Stresshormon. Im akuten Stress ist es lebenswichtig, da es die Energiebereitstellung mobilisiert. Im chronischen Zustand führt es jedoch zu Immunsuppression, gestörtem Schlaf, erhöhtem Blutzucker und einer Schädigung des Hippocampus (wichtig für Gedächtnis und Emotionsregulation).

Die drei Phasen des Allgemeinen Anpassungssyndroms:

  1. Alarmreaktion:
    Kurzfristige Mobilisierung (Kampf-oder-Flucht-Reaktion).
  2. Widerstandsphase (Resistenz):
    Der Körper versucht, sich an den Stressor anzupassen und ihn zu bewältigen. Die anfänglichen Symptome verschwinden, aber der Kortisolspiegel bleibt erhöht. Dies ist die Phase des verdeckten chronischen Stresses.
  3. Erschöpfungsphase (Exhaustion):
    Die körperlichen Ressourcen sind aufgebraucht, das Immunsystem bricht zusammen, und die Person ist anfällig für Krankheiten. Dies kann zum Burnout führen.

Psychische Folgen

Chronischer Stress hat tiefgreifende Auswirkungen auf die kognitive Funktion und die psychische Gesundheit:

3. Stressbewältigung (Coping)

Die Psychologie unterscheidet verschiedene Ansätze zum Umgang mit chronischem Stress:

Strategie Fokus Beschreibung
Problemorientiertes Coping Die Veränderung des Stressors. Aktives Handeln, um die stressauslösende Situation zu lösen oder zu ändern (z.B. Zeitmanagement verbessern, Konfliktgespräch suchen).
Emotionsorientiertes Coping Die Veränderung der Stressreaktion. Versuche, die emotionalen Reaktionen auf den Stressor zu steuern (z.B. Entspannungstechniken, soziale Unterstützung suchen, Grübeln vermeiden).
Bewertungsorientiertes Coping Die Veränderung der Interpretation des Stressors. Kognitive Umstrukturierung, Neubewertung der Situation (z.B. „Ich sehe die Herausforderung als Chance zum Lernen„).

Die therapeutische Behandlung bei chronischem Stress zielt darauf ab, die Erschöpfungsphase zu vermeiden, die körperliche Erholung einzuleiten und effektive, problemorientierte Coping-Strategien zu erlernen.

« zurück zum Glossar-Index