Co-Abhängigkeit

Co-Abhängigkeit (Co-Dependency) beschreibt ein dysfunktionales Muster in zwischenmenschlichen Beziehungen, bei dem das eigene Wohlbefinden und die Identität einer Person übermäßig von den Bedürfnissen, dem Verhalten oder der Anerkennung einer anderen Person abhängen.

Ursprünglich wurde das Konzept in den 1940er-Jahren zur Beschreibung des Verhaltens von Partnern oder Familienmitgliedern von Sucht– und Alkoholkranken entwickelt. Heute wird es breiter gefasst und bezieht sich auf Beziehungen, die von chronischer Krankheit, psychischer Störung oder allgemeiner Dysfunktion geprägt sind.

Psychologische Kernmerkmale

Co-Abhängigkeit ist durch eine Reihe ungesunder psychologischer und emotionaler Merkmale gekennzeichnet:

  • Geringes Selbstwertgefühl:
    Das Selbstwertgefühl ist nicht intern stabilisiert, sondern hängt stark von der Anerkennung und dem Wohlbefinden der abhängigen Person ab. Das eigene Wertgefühl wird daraus gezogen, „gebraucht“ und „unentbehrlich“ zu sein.
  • Kontrollzwang:
    Die co-abhängige Person versucht, die abhängige Person oder die Situation zu kontrollieren, da sie glaubt, nur so emotionale Sicherheit zu erlangen.
  • Unterdrückung eigener Bedürfnisse:
    Es fällt schwer, eigene Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen und auszudrücken. Die Bedürfnisse der anderen Person werden fast immer priorisiert.
  • Schwierigkeiten beim Setzen von Grenzen:
    Es besteht eine große Angst vor Ablehnung oder Konflikt, weshalb kaum gesunde persönliche Grenzen gesetzt werden können.
  • Übermäßige Sorge und Verantwortung:
    Es wird übergroße Verantwortung für die Gefühle, das Handeln und die Entscheidungen des Partners übernommen.

Die Rolle des „Enabling“ (Ermöglichen)

Das paradoxe Kernproblem der Co-Abhängigkeit ist das Enabling (Ermöglichen). Die co-abhängige Person versucht, zu helfen und die Krise zu bewältigen, vereitelt aber unbewusst die Chance des Abhängigen, die Konsequenzen seines Verhaltens zu erleben und eine Veränderung einzuleiten.

Typisches Enabling-Verhalten:

  • Abfangen von Konsequenzen:
    Der Partner bezahlt Schulden, lügt für den Abhängigen, um dessen Job zu retten, oder entschuldigt sein Verhalten.
  • Vermeidung von Konfrontation:
    Das dysfunktionale Verhalten wird nicht angesprochen, um Konflikte oder Wutausbrüche zu vermeiden.
  • Übernahme von Aufgaben:
    Der Co-Abhängige übernimmt die Pflichten, die der Abhängige aufgrund seines Konsums oder seiner Dysfunktion vernachlässigt (z.B. Kinderbetreuung, Haushalt).

Dieses Verhalten stabilisiert das Suchtsystem oder die Dysfunktion des Partners.

Therapieansatz

Die psychotherapeutische Behandlung der Co-Abhängigkeit zielt darauf ab, die Autonomie und die Selbstregulation der betroffenen Person wiederherzustellen:

  1. Fokusverlagerung:
    Umlenkung des Fokus von der Kontrolle der anderen Person auf die Wahrnehmung und Erfüllung eigener Bedürfnisse.
  2. Identitätsentwicklung:
    Aufbau eines stabilen Selbstwertgefühls, das unabhängig von der Beziehungsrolle ist.
  3. Grenzentwicklung:
    Erlernen und Üben des Setzens und Haltens gesunder emotionaler und praktischer Grenzen.
  4. Akzeptanz und Loslassen:
    Akzeptanz der Tatsache, dass man das Verhalten eines Erwachsenen nicht kontrollieren kann, und Loslassen der Verantwortung für dessen Entscheidungen.

Oft sind Unterstützungsgruppen (wie CoDA – Co-Dependents Anonymous) eine wichtige Ergänzung zur Einzeltherapie.

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