Desensibilisierung

Die Desensibilisierung beschreibt einen Prozess in der Psychologie, bei dem eine Person die intensive emotionale und physiologische Reaktion auf einen bestimmten Reiz verliert oder stark reduziert.

Der Begriff wird in verschiedenen therapeutischen Ansätzen verwendet, bezieht sich aber meistens auf zwei Hauptkonzepte:

1. Systematische Desensibilisierung (Verhaltenstherapie)

Die systematische Desensibilisierung ist eine klassische Methode der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), die in den 1950er Jahren von Joseph Wolpe entwickelt wurde und hauptsächlich zur Behandlung von Angststörungen und Phobien eingesetzt wird.

Ziel und Prinzip

  • Ziel:
    Die Löschung der konditionierten Angstreaktion auf einen bestimmten Reiz.
  • Prinzip:
    Das Verfahren basiert auf der Gegenkonditionierung (oder reziproken Hemmung). Die Angstreaktion wird durch eine inkompatible Reaktion, nämlich tiefe Entspannung, ersetzt.

Ablauf

  1. Entspannungstraining:
    Der Klient lernt eine Methode zur tiefen Muskelentspannung, wie die Progressive Muskelrelaxation (PMR).
  2. Angsthierarchie erstellen:
    Therapeut und Klient erstellen eine Liste von Situationen, die die Angst auslösen, beginnend bei der am wenigsten bis zur am stärksten angstauslösenden Situation (z.B. ein Foto einer Spinne bis hin zum direkten Kontakt).
  3. Desensibilisierung:
    Der Klient wird in einen Zustand tiefer Entspannung versetzt. Anschließend wird ihm der am untersten Ende der Hierarchie stehende Angstreiz vorgestellt (z.B. nur imaginiert oder auf einem Bild).
  4. Konfrontation und Entspannung:
    Solange der Klient entspannt bleibt, wird mit dem Reiz fortgefahren. Sobald Angst auftritt, wird die Vorstellung beendet und die Entspannung vertieft. Der Prozess wird wiederholt, bis der Klient bei diesem Reiz keine Angst mehr empfindet.
  5. Hierarchisches Vorgehen:
    Danach geht man zur nächsthöheren Stufe der Angsthierarchie über, bis die Angst auf der höchsten Stufe überwunden ist.

2. Desensibilisierung bei EMDR (Traumatherapie)

Im Kontext von EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) bezieht sich Desensibilisierung auf die Reduktion der emotionalen und physiologischen Belastung einer traumatischen Erinnerung.

Ziel und Prinzip

  • Ziel:
    Die traumatische Erinnerung soll ihre emotionale Schärfe verlieren.
  • Prinzip:
    Durch die bilaterale Stimulation (meist geführte Augenbewegungen) während der Fokussierung auf die schlimmste Szene des Traumas wird der Informationsverarbeitungsprozess im Gehirn angeregt, wodurch die Erinnerung als ein abgeschlossenes, vergangenes Ereignis neu abgespeichert wird.

Ablauf (verkürzt)

  1. Ziel-Erinnerung wählen:
    Identifikation der am stärksten belastenden Erinnerung.
  2. Belastung messen:
    Der Klient bewertet die subjektive Belastung auf einer Skala (SUD-Skala) von 0 bis 10.
  3. Desensibilisierungs-Sets:
    Der Klient fokussiert das traumatische Material, während die Augenbewegungen (Sets) durchgeführt werden.
  4. Reduktion:
    Die Sets werden so lange wiederholt, bis die emotionale Belastung auf der SUD-Skala auf 0 oder 1 gesunken ist.

Zusammenfassend ist die Desensibilisierung der therapeutische Schritt, in dem die ursprüngliche, oft maladaptive Reaktion (Angst, Panik, starke emotionale Belastung) auf einen Reiz durch eine neutrale oder entspannte Reaktion ersetzt wird.

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