Dissoziation

Dissoziation bezeichnet in der Psychologie einen psychischen Prozess, bei dem normalerweise zusammenhängende Funktionen des Bewusstseins, der Wahrnehmung, des Gedächtnisses, der Identität oder der Kontrolle über Körperbewegungen vorübergehend voneinander abgetrennt (gespalten) werden.

Es handelt sich um ein Spektrum von Phänomenen, das von alltäglichen Zuständen bis hin zu klinisch relevanten Störungen reicht.

Dissoziation als Alltagsphänomen

In ihrer leichten, gesunden Form tritt Dissoziation häufig auf, ohne krankheitswertig zu sein. Sie dient dazu, die Datenflut zu reduzieren und die Aufmerksamkeit zu fokussieren:

  • Beispiel: Sie fahren Auto und kommen am Ziel an, ohne sich an einen Teil der Fahrt bewusst zu erinnern („Autopilot“).
  • Beispiel: Sie sind so in ein Buch vertieft, dass Sie Geräusche in Ihrer Umgebung nicht mehr wahrnehmen.

Dissoziation als Bewältigungsmechanismus (Traumafolge)

Bei extremem Stress oder traumatischen Ereignissen (z. B. Unfälle, Missbrauch) schaltet die Psyche auf Dissoziation als Überlebensstrategie um. Die Ablösung von der Erfahrung schützt das Bewusstsein vor überwältigenden Gefühlen und Schmerz.

Typische dissoziative Erfahrungen im Kontext von Trauma sind:

  • Gefühl der Loslösung:
    Sich selbst von außen beobachten (Depersonalisation) oder die Umgebung als unwirklich und fremd erleben (Derealisation).
  • Emotionale Taubheit:
    Gefühle werden nicht mehr gespürt.
  • Amnesie:
    Unfähigkeit, sich an Teile des traumatischen Ereignisses zu erinnern.

Dissoziative Störungen (Klinische Formen)

Von einer Dissoziativen Störung spricht man, wenn die Dissoziation ausgeprägt ist und zu einer erheblichen Beeinträchtigung im Alltag (sozial, beruflich) führt.

Die Klassifikation nach ICD-11 umfasst unter anderem:

Störungsbild Beschreibung
Dissoziative Amnesie Teilweiser oder vollständiger Verlust der Erinnerung an wichtige, traumatische oder stressreiche persönliche Informationen, der über gewöhnliche Vergesslichkeit hinausgeht.
Dissoziative Identitätsstörung (DIS) Die Persönlichkeit ist in zwei oder mehr unterschiedliche Identitäten gespalten, die jeweils die Kontrolle über das Verhalten der Person übernehmen können. Geht oft mit einer ausgeprägten dissoziativen Amnesie einher.
Dissoziative Störung mit neurologischen Symptomen Verlust oder Einschränkung willkürlicher Bewegungen (z. B. Lähmungen, Stupor) oder von Sinneswahrnehmungen (z. B. Blindheit, Taubheit) ohne organische Erklärung. (Früher als Konversionsstörung bezeichnet.)
Depersonalisation-Derealisation-Störung Anhaltende oder wiederkehrende Episoden, in denen sich die Person entweder vom eigenen Körper (Depersonalisation) oder von der Umwelt (Derealisation) entfremdet fühlt, während die Realitätsprüfung erhalten bleibt.

Dissoziative Störungen treten sehr häufig als Folge von frühen und/oder schweren Traumatisierungen (insbesondere in der Kindheit) auf.

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