Drogenmissbrauch

Drogenmissbrauch oder fachsprachlich Substanzgebrauchsstörung beschreibt den nicht-medizinischen, schädlichen Konsum von illegalen Drogen, aber auch von legalen Substanzen wie Alkohol und bestimmten Medikamenten. Es beinhaltet die unkontrollierte Einnahme, die zu körperlichen und psychischen Schäden, sowie zu sozialer Beeinträchtigung und Abhängigkeit führen kann.

Drogenmissbrauch ist ein umgangssprachlicher Ausdruck, der in medizinischen und psychologischen Klassifikationssystemen wie dem Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-5-TR) und der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) unter dem Begriff Substanzgebrauchsstörung (Suchtstörung) zusammengefasst wird.

Definition und Abgrenzung

Drogenmissbrauch ist der Konsum von Substanzen, der außer Kontrolle gerät und negative Auswirkungen hat.
Es umfasst sowohl den Missbrauch illegaler Drogen (z.B. Kokain, Heroin, synthetische Drogen) als auch von legalen, aber missbräuchlich verwendeten Substanzen wie Alkohol und bestimmte Medikamente.
Drogenmissbrauch ist nicht gleichzusetzen mit Drogenabhängigkeit, kann aber zu dieser führen.
Die Kriterien für Drogenmissbrauch ähneln denen für Alkoholmissbrauch.
Ein Missbrauch liegt vor, wenn die Problematik mindestens einen Monat lang oder wiederholt in den letzten zwölf Monaten aufgetreten ist.

Anzeichen und Symptome

  • Körperliche Anzeichen können
    • Gleichgewichts- und Bewusstseinsstörungen,
    • mangelnde Konzentration,
    • nachlassende Reaktionsfähigkeit,
    • Ermüdung,
    • gestörte Wahrnehmungsfähigkeit,
    • Stichverletzungen und
    • körperlicher Verfall sein.
  • Psychische Anzeichen können
    • Verhaltensauffälligkeiten wie Distanzlosigkeit,
    • erhöhte Risikobereitschaft,
    • Angstzustände und
    • finanzielle Schwierigkeiten umfassen.
    • Ein starker Drang, die Substanz zu konsumieren,
    • Kontrollverlust,
    • zunehmende Dosissteigerungen und
    • Entzugserscheinungen sind typische Anzeichen einer Abhängigkeit.

Kriterien

Das DSM-5-TR listet 11 Kriterien auf, die sich auf einen Zeitraum von 12 Monaten beziehen. Das Vorhandensein von mindestens zwei dieser Kriterien führt zur Diagnose einer Substanzgebrauchsstörung mit unterschiedlicher Schwere.
Die 11 Kriterien gliedern sich in vier Hauptbereiche:

1. Beeinträchtigte Kontrolle über den Konsum

  • Die Substanz wird häufig in größeren Mengen oder über einen längeren Zeitraum konsumiert, als ursprünglich beabsichtigt.
  • Es besteht ein anhaltender Wunsch oder erfolglose Versuche, den Konsum zu reduzieren oder zu kontrollieren.
  • Es wird viel Zeit damit verbracht, die Substanz zu beschaffen, sie zu konsumieren oder sich von ihren Auswirkungen zu erholen.
  • Starkes Verlangen oder Drang (Craving), die Substanz zu konsumieren.

2. Soziale Beeinträchtigung

  • Wiederholter Substanzkonsum führt zu Versagen bei der Erfüllung wichtiger Verpflichtungen in der Arbeit, Schule oder im Haushalt.
  • Fortgesetzter Substanzkonsum trotz anhaltender oder wiederkehrender sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Substanz verursacht oder verschlimmert werden.
  • Aufgabe oder Reduzierung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten zugunsten des Substanzkonsums.

3. Riskanter Gebrauch

  • Wiederholter Konsum in körperlich gefährlichen Situationen (z.B. beim Autofahren).
  • Fortgesetzter Konsum, obwohl bekannt ist, dass ein anhaltendes oder wiederkehrendes körperliches oder psychisches Problem wahrscheinlich durch die Substanz verursacht oder verschlimmert wird.

4. Pharmakologische Kriterien

  • Toleranzentwicklung:
    • Die Notwendigkeit, die Dosis deutlich zu erhöhen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, oder
      ◦ Eine deutlich verminderte Wirkung bei fortgesetztem Konsum derselben Menge.
  • Entzugserscheinungen:
    • Auftreten des für die Substanz charakteristischen Entzugssyndroms, oder
    • Einnahme der Substanz (oder einer ähnlichen Substanz), um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden.

Schweregradeinteilung nach DSM-5-TR

Je nach der Anzahl der erfüllten Kriterien innerhalb eines 12-monatigen Zeitraums wird die Schwere der Störung bestimmt:

  • Leicht: 2–3 Kriterien
  • Mittelgradig: 4–5 Kriterien
  • Schwer: 6 oder mehr Kriterien

Hinweis: Die Begriffe „Missbrauch“ und „Abhängigkeit“ aus älteren Klassifikationen wurden im DSM-5-TR zu der zusammenfassenden Kategorie der Substanzgebrauchsstörung vereinigt. Die ICD-11 behält jedoch noch die Unterscheidung zwischen schädlichem Gebrauch und Abhängigkeit bei, wobei die Kriterien für die Abhängigkeit denen des DSM-5 sehr ähnlich sind.

Ursachen

Die Ursachen von Drogenmissbrauch sind multikausal und lassen sich am besten durch das biopsychosoziale Modell erklären. Dieses Modell betrachtet das Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren.

Hier sind die zentralen psychologischen Ursachen und Risikofaktoren:

1. Psychologische Risikofaktoren

Diese Faktoren beziehen sich auf die individuelle psychische Verfassung, die zur dysfunktionalen Bewältigung (Coping) von Problemen durch Drogenkonsum führen kann.

  • Bewältigungsversuche (Coping):
    Drogen werden als „Selbstmedikation“ eingesetzt, um unangenehme oder unerträgliche Gefühle und Zustände kurzfristig zu betäuben oder zu verändern.

  • Komorbidität (Begleiterkrankungen):
    Psychische Störungen, die dem Missbrauch vorausgehen oder ihn begleiten.

  • Niedrige Frustrationstoleranz:
    Die Unfähigkeit, Unbehagen, Langeweile oder das Warten auf Belohnungen auszuhalten.
  • Geringes Selbstwertgefühl:
    Drogen können kurzfristig ein Gefühl von Macht, Kompetenz oder sozialer Akzeptanz vermitteln.
  • Sensation Seeking (Erlebnishunger):
    Das Bedürfnis nach intensivem Nervenkitzel und neuen, unkonventionellen Erfahrungen, was die Risikobereitschaft erhöht.

2. Soziale und Umweltbedingte Ursachen

Das soziale Umfeld und die Lernprozesse spielen eine wichtige Rolle bei der Erstexposition und der Aufrechterhaltung des Konsums.

  • Lernen am Modell:
    Der Konsum im familiären Umfeld (Eltern, Geschwister) oder in der Peergroup wird beobachtet und imitiert.
  • Sozialer Druck:
    Der Wunsch, einer Gruppe anzugehören, oder die Angst, ausgeschlossen zu werden, kann zum Konsum führen.
  • Mangelnde Bindung:
    Unsichere Bindungserfahrungen in der Kindheit können die Fähigkeit zur emotionalen Regulation und zur gesunden Beziehungsgestaltung beeinträchtigen. Die Droge wird zum Ersatz für stabile Bindungen.

3. Biologische/Neurobiologische Faktoren

Obwohl diese nicht rein psychologisch sind, beeinflussen sie die psychologische Anfälligkeit stark:

  • Genetische Prädisposition:
    Es gibt eine Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Sucht, wenn Suchterkrankungen in der Familie vorliegen.
  • Neurobiologische Sensitivität:
    Bestimmte Individuen reagieren empfindlicher auf die belohnenden Effekte von Drogen (Freisetzung von Dopamin im Belohnungssystem), was die schnelle Entwicklung eines Craving (unbezwingbares Verlangen) fördert.
  • Präfrontaler Kortex:
    Bei Süchtigen ist oft die Funktion des präfrontalen Kortex (zuständig für Impulskontrolle und rationale Entscheidungsfindung) beeinträchtigt, was die Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung reduziert.

Risiken

Die Risiken von Drogenmissbrauch (Substanzstörungen) sind immens und betreffen praktisch alle Lebensbereiche. Sie lassen sich in die Hauptkategorien gesundheitliche (körperliche und psychische), soziale und rechtliche Risiken einteilen.

1. Gesundheitliche Risiken

Die gesundheitlichen Folgen sind die direkteste und oft fatalste Konsequenz des Missbrauchs.

A. Körperliche Risiken

  • Überdosierung: Dies ist das akuteste Risiko und kann zum Koma, Atemstillstand oder Herzversagen führen und ist eine häufige Todesursache.
  • Organschäden:
    • Leber:
      Vor allem durch Alkoholmissbrauch, führend zu Fettleber, Hepatitis und Leberzirrhose.
    • Herz-Kreislauf-System:
      Durch Stimulanzien (z. B. Kokain, Methamphetamine) kann es zu Herzrhythmusstörungen, Herzinfarkt und Schlaganfällen kommen.
    • Lunge:
      Schädigung durch Inhalation (Rauchen von Drogen) bis hin zu Lungenkrebs und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD).
  • Infektionskrankheiten:
    Durch das gemeinsame Benutzen von Spritzen oder unhygienische Bedingungen beim Konsum (IV-Gebrauch) steigt das Risiko für die Übertragung von HIV, Hepatitis B und C.
  • Mangelernährung und Immunsystem:
    Der Körper wird durch den Konsum ausgelaugt; die Vernachlässigung der Ernährung schwächt das Immunsystem.

B. Psychische Risiken

2. Soziale und Persönliche Risiken

Drogenmissbrauch führt oft zu einer Erosion des sozialen Netzes und der Lebensgrundlage.

  • Beziehungsprobleme:
    Zunehmende Konflikte, Vertrauensverlust, Isolation, Trennung und Verlust von familiären Beziehungen.
  • Berufliche und finanzielle Probleme:
    Verlust des Arbeitsplatzes, schlechte schulische oder berufliche Leistungen, sowie Verschuldung durch die Finanzierung des Konsums.
  • Vernachlässigung der Verantwortung:
    Versäumnis von Pflichten im Haushalt, bei der Kindererziehung oder im Job.
  • Verlust von Hobbys und Interessen:
    Die Droge wird zum Lebensmittelpunkt, andere Aktivitäten verlieren an Bedeutung.

3. Rechtliche und Gesellschaftliche Risiken

  • Strafverfolgung:
    Besitz, Handel und unter Umständen auch der Konsum von illegalen Drogen sind strafbar.
  • Verkehrsrisiken:
    Führen von Fahrzeugen unter Drogeneinfluss führt zum Verlust des Führerscheins und stellt eine erhebliche Gefahr für die Öffentlichkeit dar.
  • Gewalt und Kriminalität:
    Erhöhte Risikobereitschaft und eingeschränkte Impulskontrolle können zu Gewalt- und Eigentumsdelikten führen (z. B. Beschaffungskriminalität).

Behandlung und Therapie

Die Behandlung von Drogenmissbrauch (Substanzstörungen) in der Psychotherapie ist ein multimodaler und mehrphasiger Prozess. Sie zielt darauf ab, die Abstinenz zu erreichen und langfristig zu stabilisieren, indem die psychologischen Ursachen des Konsums bearbeitet und neue Bewältigungsstrategien erlernt werden.

Die Psychotherapie ist der zentrale Pfeiler der langfristigen Suchtbehandlung, ergänzt durch medizinische Begleitung.

1. Phasen der Behandlung

Die psychotherapeutische Behandlung gliedert sich typischerweise in drei Hauptphasen:

A. Kontakt- und Motivationsphase

  • Ziel:
    Aufbau einer stabilen therapeutischen Beziehung und Steigerung der Änderungsmotivation des Klienten, der oft ambivalent ist.
  • Methode:
    Motivational Interviewing (MI). Der Therapeut arbeitet mit der Ambivalenz, indem er die Diskrepanz zwischen den Werten und Zielen des Klienten und seinem aktuellen Konsumverhalten herausarbeitet.

B. Entzugs- und Entwöhnungsphase

  • Ziel:
    Erreichen und Stabilisieren der Abstinenz. Die psychotherapeutische Arbeit beginnt intensiv, sobald die körperlichen Entzugssymptome abgeklungen sind.
  • Methode:
    Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT)-Skills. Hier werden akute Strategien zur Bewältigung des Cravings (unbezwingbares Verlangen) und des psychischen Entzugs vermittelt.

C. Nachsorge und Rückfallprävention

  • Ziel:
    Wiedereingliederung in den Alltag, Aufbau eines abstinenzstützenden Netzwerks und langfristige Stabilisierung der Persönlichkeit.
  • Methode:
    Fokussierte Rückfallprävention und Bearbeitung der zugrundeliegenden psychischen Störungen (Komorbidität).

2. Zentraler Therapieansatz: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Die KVT ist die am besten untersuchte und am häufigsten angewendete Methode in der Suchttherapie.

  • Funktionale Analyse:
    Identifizierung der Auslöser (Trigger), die zum Konsum führen (ABC-Analyse: Antezedenz/Auslöser – Behavior/Konsum – Consequence/Folge).
  • Kognitive Umstrukturierung:
    Die Klienten lernen, die suchtfördernden Gedanken und die positiven Erwartungen an die Droge zu erkennen und zu korrigieren. (Z.B. den Gedanken „Einmal geht schon“ durch „Einmal ist schon zu viel“ ersetzen).
  • Erlernen neuer Bewältigungsstrategien:
    Aufbau von alternativen Coping-Mechanismen für Stress, Langeweile, Frustration oder Konflikte, um nicht zur Droge greifen zu müssen. Dies umfasst Entspannungstechniken, soziale Fertigkeiten und Problemlösekompetenz.

3. Schlüsselstrategien der Psychotherapie

A. Umgang mit dem Craving (Verlangen)

  • Reizkontrolle:
    Vermeidung von Situationen, Personen oder Orten, die den Wunsch nach der Droge auslösen.
  • Exposition und Reaktionsverhinderung:
    Konfrontation mit einem Auslöser in einer sicheren Umgebung, ohne den Konsum zuzulassen (z. B. eine leere Flasche zeigen), um die Reaktion abzubauen.
  • Achtsamkeit:
    Klienten lernen, das Craving als vorübergehenden, inneren Zustand wahrzunehmen, der nicht sofortiges Handeln erfordert.

B. Rückfallprävention

  • Identifizierung von Risikosituationen:
    Der Klient erstellt eine Liste seiner persönlichen Hochrisikosituationen (z. B. Streit mit dem Partner, Feiern ohne abstinente Freunde).
  • Notfallpläne:
    Entwicklung konkreter Schritte, die bei einem Rückfall oder in einer Risikosituation zu unternehmen sind (z. B. Anruf bei der Suchtberatung, sofortiges Verlassen des Ortes).
  • Umgang mit einem Ausrutscher („Lapse“):
    Vermittlung der Haltung, dass ein einmaliger Konsum kein vollständiger Rückfall ist, sondern eine Lernchance. Das sofortige Wiederaufnehmen der Abstinenz ist das Ziel, um den „Abstinenz-Verletzungs-Effekt“ zu verhindern.

C. Behandlung von Komorbiditäten

Die Therapie muss gleichzeitig die psychischen Begleiterkrankungen (Depression, Angst, Traumata) behandeln, da diese oft die eigentliche Ursache für den Drogenmissbrauch als Selbstmedikation sind.

 

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