Emotionale Krisensituation

Eine emotionale Krisensituation ist in der Psychologie ein Zustand akuter psychischer Anspannung, in dem eine Person mit einem Ereignis oder einer Belastung konfrontiert wird, das oder die ihre Bewältigungsfähigkeiten (Coping-Strategien) übersteigt. Die Person erlebt einen massiven Verlust der emotionalen Kontrolle und fühlt sich in ihrer bisherigen Lebensstruktur bedroht.

Merkmale und Ablauf einer Krise (Krisenmodell nach Caplan)

Emotionale Krisen verlaufen typischerweise in Phasen, die durch eine Überforderung der normalen Anpassungsmechanismen gekennzeichnet sind.

Phase Beschreibung Emotionale Reaktion
1. Schock und Konfrontation Das kritische Ereignis tritt ein. Die normalen Problemlösungsversuche versagen. Angst, Unglaube, Verleugnung, Schock.
2. Mobilisierung/Expansion Die Person mobilisiert alle verfügbaren Energien zur Bewältigung, versucht aktiv, das Problem zu lösen. Wut, Anspannung, Frustration, Verzweiflung.
3. Dekompensation/Krise Die Energien sind erschöpft, die Situation ist ungelöst. Die Bewältigungsstrategien brechen zusammen. Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, schwere Angst, depressive Symptome.
4. Neuorganisation/Ausgang Die Krise wird verarbeitet. Es kommt zur Wiederherstellung eines Gleichgewichts (adaptiv) oder zur Entwicklung einer psychischen Störung (maladaptiv). Akzeptanz, Trauer, neue Stabilität oder Chronifizierung.

Typische Auslöser

Krisen können durch verschiedene Ereignisse ausgelöst werden:

  • Situative Krisen:
    Ausgelöst durch unerwartete, lebensverändernde Ereignisse von außen (z.B. der plötzliche Tod eines Angehörigen, schwere Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Naturkatastrophen, Gewalterfahrung).
  • Entwicklungskrisen:
    Treten im Zusammenhang mit normalen, aber schwierigen Übergängen im Lebenszyklus auf (z.B. Jugendkrise, Empty-Nest-Syndrom, Übergang in den Ruhestand).
  • Traumatische Krisen:
    Durch ein massives Trauma ausgelöst, das die psychische Verarbeitungskapazität sofort übersteigt und ein Gefühl existenzieller Bedrohung hinterlässt.

Psychologische Ziele im Umgang mit der Krise

Das Ziel der Krisenintervention ist die Stabilisierung der Betroffenen, um die sofortige Gefahr eines maladaptiven Ausgangs (z.B. Suizidalität) zu bannen und eine angemessene Verarbeitung zu ermöglichen.

  • Affektive Entlastung:
    Schaffung eines sicheren Raumes, in dem intensive Gefühle (Angst, Wut, Trauer) ausgedrückt werden dürfen, um die innere Anspannung zu reduzieren.
  • Kognitive Klarheit:
    Hilfe bei der Strukturierung des Chaos. Das Ereignis wird intellektuell fassbarer gemacht.
  • Ressourcenaktivierung:
    Identifizierung und Stärkung vorhandener Bewältigungsressourcen (soziale Kontakte, frühere erfolgreiche Bewältigungsstrategien).
  • Herstellung von Kontrolle:
    Vermittlung des Gefühls, dass die Situation durch kleine, konkrete Schritte wieder beeinflussbar ist.

Im Gegensatz zur tiefgreifenden Psychotherapie konzentriert sich die Krisenintervention auf das aktuelle Problem und die Wiederherstellung des Gleichgewichts, nicht auf die Aufarbeitung vergangener Konflikte.

« zurück zur Seite: Psychotherapie | Arbeitsschwerpunkte

« zurück zum Glossar-Index