Grundannahmen
Die Rolle der Grundannahmen (oder Zwischenüberzeugungen) im Kognitiven Modell der Psychotherapie nach Aaron T. Beck ist zentral und dient als Brücke zwischen den tiefsten Überzeugungen (Grundüberzeugungen oder Core Beliefs) und dem alltäglichen, situationsabhängigen Verhalten.
Sie erklären, wie ein Individuum versucht, mit seinen negativen Kernglaubenssätzen umzugehen und seine Umwelt zu navigieren.
Die Vermittlungsrolle in der Kognitiven Hierarchie
Die Grundannahmen (Assumptions oder Regeln) stehen in der Hierarchie der Kognitionen zwischen den automatischen Gedanken und den Grundüberzeugungen:
- Ableitung:
Die Grundannahmen werden aus den Grundüberzeugungen (z.B. „Ich bin unzulänglich“) entwickelt. - Funktion:
Sie generieren die spezifischen, negativen Automatischen Gedanken in konkreten Situationen (z.B. „Ich werde diese Aufgabe nicht schaffen“).
Beispiel
| Ebene | Kognition | Formulierung | Rolle |
| Grundüberzeugung (Kern) | Liebensunwürdigkeit | „Ich bin nicht liebenswert.“ | Das tiefste, absolute Schema. |
| Grundannahme (Regel) | Bedingte Strategie | „Wenn ich für andere immer nützlich bin und nie um Hilfe bitte, werde ich akzeptiert.“ | Die entwickelte Lebensregel zur Kompensation der Kernüberzeugung. |
| Automatischer Gedanke | Situationsspezifische Kognition | „Ich muss diese Aufgabe perfekt erledigen, sonst verliere ich meinen Wert.“ | Die unmittelbare kognitive Reaktion auf die Situation. |
Schutz- und Kompensationsmechanismus
Die Hauptrolle der Grundannahmen ist der Versuch, die Aktivierung der negativen Grundüberzeugung zu vermeiden oder zu kompensieren.
- Vermeidungsstrategie:
Sie sind wie ein Schutzschild. Wenn die Grundüberzeugung „Ich bin ein Versager“ lautet, entwickelt die Person die Regel: „Ich muss alles vermeiden, bei dem ich scheitern könnte.“ - Kompensationsstrategie:
Alternativ werden sie zu einem Überkompensationsmechanismus. Die Regel lautet: „Ich muss immer perfekt sein und die Kontrolle behalten, damit niemand merkt, dass ich ein Versager bin.“
Solange die Person die selbst auferlegten Regeln und Standards (die Grundannahmen) erfolgreich einhält, bleibt die Kernglaubenssatz latent (im Ruhezustand).
Quelle des Leidens und Therapieziel
Die Grundannahmen werden zu einer Ursache des Leidens, weil sie oft extrem, starr, unflexibel und unrealistisch sind. Sie führen zu dysfunktionalem Verhalten:
- Perfektionismus:
Die Grundannahme „Ich muss alles perfekt machen“ führt zu ständiger Überarbeitung, Angst vor Fehlern und chronischem Stress. - Vermeidungsverhalten:
Die Regel „Ich darf mich nicht verletzlich zeigen“ führt zu Isolation und mangelnder emotionaler Nähe in Beziehungen.
In der Therapie dienen die Grundannahmen als wichtiger Anhaltspunkt für die therapeutische Intervention:
- Identifikation:
Der Therapeut hilft dem Patienten, diese oft impliziten Regeln („Ich muss…“) explizit zu machen. - Überprüfung:
Die Angemessenheit und Funktionalität dieser Regeln wird hinterfragt (z.B. „Gilt diese Regel wirklich immer? Was passiert, wenn Sie einmal Hilfe annehmen?“). - Modifikation:
Ziel ist es, die rigiden Regeln durch flexible, realistische Annahmen zu ersetzen (z.B. von „Ich muss perfekt sein“ zu „Ich kann Fehler machen, und das ändert nichts an meinem Wert“). Dies schwächt die zugrundeliegende negative Grundüberzeugung ab.