Hierarchie-Modell der Motive

Das Hierarchie-Modell der Motive ist ein zentrales Konzept in der Klärungsorientierten Psychotherapie (KOP) nach Rainer Sachse. Es dient dazu, die grundlegenden Bedürfnisse (Motive) von Klienten zu strukturieren und zu verstehen, welche Motive verletzt wurden und welche dysfunktionalen Strategien (Schemata) zur deren Befriedigung entwickelt wurden.

Das Modell postuliert vier Hauptgruppen von Motiven, die nicht streng wie eine Pyramide (wie bei Maslow) aufgebaut sind, sondern als hierarchisch geordnet in Bezug auf ihre grundlegende Relevanz für das Überleben und das psychische Wohlbefinden betrachtet werden.

Die Hierarchie der Motive nach Sachse

Die vier Kernmotive, geordnet von der höchsten Priorität (Überleben) zur niedrigeren (Entwicklung/Komfort):

1. Motiv der Orientierung und Kontrolle

  • Definition:
    Das grundlegendste Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit, Sicherheit und dem Gefühl, kompetent mit der Welt umgehen zu können. Es geht darum, die Umwelt und die eigenen Reaktionen zu verstehen und zu beherrschen.
  • Relevanz:
    Essentiell für das Überleben. Wenn dieses Motiv verletzt ist, resultiert oft ein starkes Gefühl der Hilflosigkeit und Angst.

2. Motiv der Bindung und Zugehörigkeit (Anschluss)

  • Definition:
    Das Bedürfnis nach Nähe, Intimität, Sicherheit in Beziehungen und die Erfahrung, als wichtiges Mitglied einer Gruppe oder Familie akzeptiert zu werden.
  • Relevanz:
    Wichtig für das emotionale Überleben und das Erleben von sozialer Unterstützung. Verletzungen hier führen zu tief sitzenden Ängsten vor Verlassenwerden oder Ablehnung.

3. Motiv der Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz

  • Definition:
    Das Bedürfnis, sich als wertvoll, kompetent und effektiv zu erleben. Es ist das Streben nach Anerkennung, Status und das Vermeiden von Kritik oder Abwertung.
  • Relevanz:
    Dient der psychischen Stabilität. Dysfunktionale Strategien zur Befriedigung dieses Motivs sind häufig bei narzisstischen oder histrionischen Störungen zu beobachten.

4. Motiv der Lustgewinnung und Unlustvermeidung (Hedonismus)

  • Definition:
    Das Bedürfnis nach positiven emotionalen Zuständen (Freude, Spaß, Genuss) und das Vermeiden von negativen Gefühlen (Angst, Schmerz, Traurigkeit).
  • Relevanz:
    Dieses Motiv ist oft die treibende Kraft hinter vielen kurzfristigen Verhaltensweisen, einschließlich Vermeidungsverhalten bei Angststörungen, da es zur sofortigen Reduktion von Unlust führt.

Anwendung in der Psychotherapie

Die KOP nutzt dieses Motivmodell primär, um zu klären, welche Motive durch dysfunktionale Schemata (starre, rigide Regeln) verletzt werden.

  1. Klärung:
    Identifizieren, welche Motive für den Klienten besonders wichtig sind und welche negativen Erfahrungen in der Biographie zu einer chronischen Motivverletzung geführt haben.
  2. Validierung:
    Die Therapeutin anerkennt das zugrundeliegende Motiv (z.B. das Bedürfnis nach Anerkennung ist legitim), selbst wenn die Strategie zu seiner Befriedigung dysfunktional ist (z.B. ständige Selbstdarstellung).
  3. Bearbeitung:
    Der Klient lernt, seine Motive durch funktionalere, schemakompatible Strategien zu befriedigen, ohne sich und andere zu schädigen.

Das Modell ist eng verbunden mit der Konsistenztheorie (Klaus Grawe), betrachte jedoch stärker die interaktionale Perspektive im Hinblick auf dysfunktionale Strategien der Beziehungsgestaltung, die häufig zu inneren Konflikten und Beziehungsstörungen führt.

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