Ich-Syntonie

Als Ich-Syntonie bezeichnet man einen Zustand, bei dem eine Person ihre Gedanken, Emotionen und Verhaltensweisen als zu ihrem Ich gehörend erlebt. Sie werden nicht als fremd oder störend empfunden, auch wenn sie im Rahmen einer psychischen Störung auftreten und von außenstehenden Personen als abweichend wahrgenommen werden.

Klinisch bzw. psychotherapeutisch relevant ist die Ich-Syntonie vor allem daduch, dass die Gedanken, Emotionen oder Verhaltensweisen als adäquat und mit der eigenen Person stimmig erlebt werden und tief in das Selbstbild und die Persönlichkeitsstruktur integriert sind.
Oftmals empfinden Betroffenen ihre Störung als einen positiven Teil ihrer Persönlichkeit, auf den sie stolz sind und den sie als Alleinstellungsmerkmal betrachten.

Beispiele für Psychische Störungen mit hoher Ich-Syntonie

Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen sind Muster, die meist seit der Jugend bestehen und per Definition ich-synton sind, da sie als „typisch ich“ empfunden werden.

Störung Ich-Syntones Muster Wahrgenommene Funktion/Identität
Zwanghafte PS Übermäßige Kontrolle, Perfektionismus, Starrheit, Detailversessenheit. „Ich bin besonders verantwortungsbewusst und sorgfältig; meine Ansprüche sind richtig und notwendig.“
Narzisstische PS Größenphantasien, Anspruchsdenken, Bedürfnis nach Bewunderung, fehlende Empathie. „Ich bin außergewöhnlich, überlegen und habe ein Recht auf besondere Behandlung.“
Paranoide PS Misstrauen, Überempfindlichkeit gegenüber Kränkungen, Neigung zur Deutung von Ereignissen als böswillig. „Ich bin wachsam und realistisch; die anderen sind Feinde oder haben schlechte Absichten.“
Schizoide PS Bevorzugung von Einsamkeit, Distanz, emotionale Kühle, geringes Interesse an sozialen Kontakten. „Ich bin autark und unabhängig; Beziehungen sind lästig und überflüssig.“
Histrionische PS Übermäßige Theatralik, Bedürfnis, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, suggestive Sprache. „Ich bin lebendig und spannend; Aufmerksamkeit ist meine Bestätigung.“

Essstörungen

Im Bereich der Essstörungen ist die Ich-Syntonie besonders ausgeprägt und erschwert die Therapie massiv:

  • Anorexia Nervosa (Magersucht):
    • Das Syntone:
      Das Hungern, der Gewichtsverlust und die strenge Kontrolle über Essen und Körper werden als Leistung, Disziplin und Stärke empfunden. Die Krankheit gibt der Person oft ein Gefühl von Kompetenz und Identität.
    • Folge:
      Die Ablehnung von Gewichtszunahme ist hoch, da dies als Aufgabe dieser Identität und als Kontrollverlust interpretiert wird.

Weitere Beispiele

  • Hypomanische/Manische Phasen (Bipolare Störung):
    In der Phase der gehobenen Stimmung empfinden Betroffene ihre überschießende Aktivität, Ideenflut und grenzenlose Optimismus oft als gesund oder Hochleistung. Sie haben keinen Leidensdruck am Zustand selbst, sondern oft erst, wenn die Phase in eine depressive Episode umschlägt oder massive Konsequenzen (finanzielle Verluste, soziale Konflikte) eintreten.
  • Bestimmte Süchte (z.B. Glücksspiel, Arbeitssucht):
    Obwohl die Konsequenzen dyston sind, kann das süchtige Verhalten selbst in der Phase der Ausführung als notwendig, entspannend oder Teil des Lebensstils rationalisiert werden, was die Einsicht und Motivation zur Abstinenz senkt.
  • Wahn
  • Schizophrenie

Klinische und therapeutische Relevanz

Durch die tiefe Integration der problematischen Denkmuster und Verhaltensweisen in das Selbstbild und die Persönlichkeitsstruktur entsteht bei den betroffenen Personen oftmals kein Leidensdruck und damit auch kein Behandlungswunsch und keine Behandlungsbereitschaft:
E
in Verlust dieser Eigenschaften oder eine Verhaltensänderung wäre zwangsläufig mit einem Verlust an Identität verbunden.
Eine eigentlich indizierte psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung wird dadurch erschwert oder kommt gar nicht erst zustande.

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