Interaktionsstörungen

Interaktionsstörungen sind in der Psychologie und Psychotherapie pathologische (krankhafte) oder dysfunktionale Interaktionsmuster, die zu anhaltenden Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen führen und bei den Beteiligten Leiden verursachen.
Sie sind typischerweise wiederkehrende, starre Verhaltens- und Kommunikationsweisen innerhalb eines sozialen Systems (wie Familie, Partnerschaft, oder auch Therapeut-Klient-Beziehung), die sich durch eine zirkuläre Kausalität gegenseitig aufrechterhalten und verstärken.

Kernelemente und Perspektiven

Systemische Perspektive

In der Systemischen Therapie werden psychische Probleme oder Symptome nicht als Störung eines einzelnen Individuums, sondern als Ausdruck einer Störung im familiären oder sozialen Beziehungssystem betrachtet.

  • Zirkuläre Kausalität:
    Eine Interaktionsstörung ist ein Teufelskreis. Das Verhalten von Person A löst eine Reaktion bei Person B aus, die wiederum das ursprüngliche Verhalten von A verstärkt oder zementiert. Es gibt keine einfache Ursache-Wirkung, sondern einen sich selbst verstärkenden Regelkreis.
  • Aufrechterhaltung:
    Die dysfunktionalen Muster dienen oft dazu, Konflikte zu vermeiden oder das System – wenn auch auf ungesunde Weise – zu stabilisieren.
  • Fokus:
    Die systemische Therapie zielt darauf ab, diese starren Muster zu verstehen, zu stören und neue, gesündere Handlungsspielräume zu ermöglichen.

Psychodynamische und Kognitive Perspektive

Hier werden Interaktionsstörungen stark mit dysfunktionalen Schemata und unerfüllten Motiven in Verbindung gebracht, insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen.

  • Unerfüllte Motive:
    Personen versuchen unbewusst, tief verankerte Grundmotive (wie Wichtigkeit, Zugehörigkeit, Autonomie) durch manipulative oder rigide interaktionelle Strategien zu befriedigen.
    Da diese Strategien meist nur kurzfristig oder nicht authentisch zum Ziel führen, verhärten sich die Muster.
  • Dysfunktionale Schemata:
    Negative Überzeugungen über sich selbst („Ich bin nicht wichtig“) und über Beziehungen („In Beziehungen wird man abgewertet“) führen zu einem Verhalten, das diese Erwartungen beim Gegenüber erst auslöst (sogenannte „Self-fulfilling Prophecy“).

Typische Beispiele für Interaktionsstörungen

Interaktionsstörungen manifestieren sich oft in Form von sich selbst verstärkenden Eskalationen oder festgefahrenen komplementären Rollen.

Muster Beschreibung Beispiel
Komplementäre Eskalation Eine extreme Form des komplementären Musters, bei der sich die ungleichen Positionen gegenseitig steigern (zirkulärer Prozess). Dominanz-Unterwerfung: Der herrschsüchtige Partner (Dominanz) verlangt ständige Unterordnung, wodurch der unterwürfige Partner (Passivität) immer hilfloser wird, was wiederum die Dominanz des ersten Partners verstärkt.
Symmetrische Eskalation Eine extreme Form des symmetrischen Musters, bei der beide Partner um die gleiche Position (meist Dominanz oder Recht-Haben) kämpfen und sich gegenseitig überbieten. Wettstreit/Konkurrenz: Ein Streit, in dem beide Partner immer lauter werden, sich ständig unterbrechen oder gegenseitig mit Vorwürfen überhäufen.
Vermeidung und Verfolgung Ein Partner zieht sich zurück und vermeidet Konflikte, während der andere Partner ihn „verfolgt“, um Kontakt oder Klärung zu erzwingen. Rückzug und Drängen: Person A fühlt sich überfordert und schweigt, was Person B als Ablehnung interpretiert und deshalb umso stärker nach einer Reaktion verlangt. Der Rückzug verstärkt das Drängen, und das Drängen verstärkt den Rückzug.
Interaktionsstörungen bei Persönlichkeitsstörungen Die Symptome einer Persönlichkeitsstörung (z.B. Borderline, Paranoid, Dependent) äußern sich direkt in problematischen Beziehungen. Misstrauen (Paranoid): Die Person interpretiert harmlose Äußerungen ständig als feindlich oder abwertend, reagiert streitsüchtig und löst dadurch tatsächlich feindliche Reaktionen beim Gegenüber aus.
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