Kognitive Dissonanz

Kognitive Dissonanz ist ein psychologisches Konzept, das einen unangenehmen Spannungszustand beschreibt, der entsteht, wenn eine Person zwei oder mehr widersprüchliche Kognitionen (Gedanken, Einstellungen, Überzeugungen oder Verhaltensweisen) gleichzeitig wahrnimmt.

Die Theorie wurde 1957 vom Sozialpsychologen Leon Festinger entwickelt.

Entstehung und Wirkung der Dissonanz

1. Kognitionen

Kognitionen sind alle Wissenselemente, die eine Person über sich selbst, ihr Verhalten oder ihre Umwelt besitzt. Sie können in verschiedenen Beziehungen zueinander stehen:

  • Konsonant:
    Die Kognitionen stimmen miteinander überein (z.B. „Ich möchte gesund leben“ und „Ich esse gerne Gemüse“).
  • Irrelevant:
    Die Kognitionen haben nichts miteinander zu tun (z.B. „Ich mag Katzen“ und „Es ist sonnig“).
  • Dissonant:
    Die Kognitionen widersprechen sich (z.B. „Rauchen ist tödlich“ und „Ich rauche drei Packungen am Tag“).

2. Der Spannungszustand

Wenn Dissonanz auftritt, erleben Menschen einen inneren Druck (eine Art psychologischen „Schmerz“), da sie das Bedürfnis haben, Konsistenz in ihrem Weltbild herzustellen. Die Stärke der Dissonanz hängt von der Wichtigkeit der beteiligten Kognitionen ab.

Strategien zur Dissonanzreduktion

Um den unangenehmen Spannungszustand zu beenden, wird der Mensch aktiv und versucht, die Dissonanz zu reduzieren. Da vergangenes Verhalten nicht geändert werden kann, werden meist die Einstellungen und Überzeugungen angepasst.

Die drei Hauptstrategien sind:

  1. Hinzufügen konsonanter Kognitionen (Rationalisierung):
    • Beispiel (Raucher): „Ich kenne viele Menschen, die geraucht haben und sehr alt geworden sind.“ (Man sucht nach Fakten oder Meinungen, die das Verhalten rechtfertigen.)
  2. Ändern dissonanter Kognitionen (Einstellungsänderung):
    • Beispiel (Raucher): Die Einstellung zur Gesundheit wird heruntergespielt: „Ein bisschen Entspannung ist wichtiger als 100%ige Gesundheit.“ (Die Überzeugung wird angepasst.)
  3. Wichtigkeit der dissonanten Kognition reduzieren:
    • Beispiel (Raucher): Die Relevanz des Gesundheitsrisikos wird minimiert: „Das Risiko, durch einen Unfall zu sterben, ist höher als das Rauchrisiko.“

Zentrale Anwendungsfelder

1. Nachentscheidungsdissonanz (Post-Decisional Dissonance)

Dissonanz, die nach einer wichtigen Entscheidung auftritt. Nachdem man sich für Option A entschieden hat, werden die positiven Aspekte von Option B plötzlich attraktiver. Zur Reduktion der Dissonanz werden die Vorzüge der gewählten Option A nachträglich aufgewertet und die Nachteile von Option B abgewertet.

2. Einstellungsänderung durch erzwungene Einwilligung (Forced Compliance)

Eine Person wird dazu gebracht, sich entgegen ihrer privaten Einstellung zu verhalten (z.B. eine Lüge zu erzählen). Dies führt zu Dissonanz.

  • Klassisches Experiment (Festinger & Carlsmith, 1959): Studenten mussten eine langweilige Aufgabe als „sehr interessant“ bewerben. Diejenigen, die dafür nur 1 Dollar (geringe externe Rechtfertigung) erhielten, änderten nachträglich ihre tatsächliche Einstellung zur Aufgabe (Sie fanden sie plötzlich wirklich interessant), um die Dissonanz zwischen „Ich lüge“ und „Ich habe kaum Geld dafür bekommen“ zu reduzieren. Diejenigen, die 20 Dollar erhielten (hohe externe Rechtfertigung), empfanden kaum Dissonanz, da das Geld die Lüge rechtfertigte.

3. Aufwand-Rechtfertigung (Effort Justification)

Je größer der Aufwand (Zeit, Schmerz, Geld) ist, den jemand für das Erreichen eines Ziels betreibt, desto positiver wird dieses Ziel bewertet, um den Aufwand nachträglich zu rechtfertigen. Beispiel: Ein teurer Kauf wird nachträglich als besser als erwartet bewertet.

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