Kognitive Verzerrungen
Kognitive Verzerrungen (oder Denkfehler) sind systematische fehlerhafte Muster der Informationsverarbeitung in der Psychologie. Sie führen dazu, dass Menschen Situationen und Fakten nicht objektiv, sondern auf eine verzerrte (meist negative oder irrationale) Weise wahrnehmen, interpretieren und erinnern. Sie spielen eine zentrale Rolle im Kognitiven Modell von psychischen Störungen, insbesondere bei Depressionen und Angststörungen.
Charakteristik und Funktion
Kognitive Verzerrungen sind erlernte und automatisierte Denkschemata, die:
- Selbstverstärkend wirken:
Sie bestätigen oft die zugrundeliegenden negativen Überzeugungen (Schemata) einer Person. - Wahrnehmung filtern:
Sie führen dazu, dass neutrale oder positive Informationen ausgeblendet werden. - Emotionen beeinflussen:
Sie sind oft die unmittelbare Ursache für starke negative Emotionen (z. B. Angst, Traurigkeit, Wut), die nicht durch die tatsächliche Situation gerechtfertigt sind.
Häufige Kognitive Verzerrungen
Die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) identifiziert und bearbeitet diese typischen Denkfehler, um die negativen Emotionen zu reduzieren.
| Kognitive Verzerrung | Beschreibung | Beispiel |
| Dichotomes Denken (Schwarz-Weiß-Denken) | Die Tendenz, Ereignisse oder Personen nur in extremen Kategorien zu sehen: gut oder schlecht, Erfolg oder Misserfolg, perfekt oder wertlos. Keine Graustufen werden akzeptiert. | „Wenn ich die Prüfung nicht mit einer Eins bestehe, bin ich ein kompletter Versager.“ |
| Selektive Abstraktion (Tunnelblick) | Nur ein isoliertes, meist negatives Detail aus einer Situation wird herausgegriffen, während alle anderen Aspekte ignoriert werden, um das Gesamtbild negativ zu interpretieren. | Ein Mitarbeiter erhält in einer Beurteilung neunmal Lob und eine kleine Kritik. Er konzentriert sich nur auf die eine Kritik und glaubt: „Meine Arbeit ist mangelhaft.“ |
| Gedankenlesen | Die Annahme, die Gedanken, Gefühle und Absichten anderer Menschen ohne ausreichende Beweise genau zu kennen, meist in negativer Weise. | „Meine Freunde haben mich nicht angerufen. Sie halten mich bestimmt für langweilig.“ |
| Katastrophisieren | Zukünftige Ereignisse als das Schlimmste vom Schlimmsten zu bewerten, selbst wenn sie unwahrscheinlich sind, oder die Auswirkungen eines Ereignisses massiv zu übertreiben. | „Wenn ich jetzt den Zug verpasse, verliere ich meinen Job, und mein ganzes Leben ist ruiniert.“ |
| Übergeneralisierung | Aus einem einzigen negativen Ereignis eine allgemeingültige, unbegrenzte Schlussfolgerung zu ziehen. (Verwendung von Wörtern wie „immer“, „nie“, „jedes Mal“). | Nach einer gescheiterten Bewerbung: „Ich werde nie einen Job finden.“ |
| Personalisierung | Die Tendenz, sich selbst als Ursache oder Schuldigen für externe, negative Ereignisse zu sehen, für die man objektiv nicht verantwortlich ist. | „Die Party war langweilig. Das liegt bestimmt daran, dass ich nicht genug zur guten Stimmung beigetragen habe.“ |
| Emotionale Beweisführung | Die Überzeugung, dass emotionale Reaktionen Fakten widerspiegeln. Wenn man sich ängstlich fühlt, muss die Gefahr real sein. | „Ich fühle mich wertlos, also bin ich auch wertlos.“ |
| „Sollte“-Aussagen (Musturbation) | Rigide und unflexible Regeln zu haben, wie man selbst oder andere sich verhalten sollten („Ich muss“, „Ich sollte“). Werden diese nicht erfüllt, folgen Schuldgefühle oder Wut. | „Ich sollte immer allen helfen. Wenn ich das nicht tue, bin ich ein schlechter Mensch.“ |
Therapeutische Relevanz
In der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) ist die Identifizierung und Korrektur dieser Verzerrungen ein Kernstück der Behandlung.
- Erkennen:
Der Patient lernt, seine automatischen negativen Gedanken und die zugrunde liegenden Verzerrungen zu identifizieren (z. B. durch das ABC-Schema nach Albert Ellis). - Hinterfragen:
Die Gedanken werden mithilfe der sogenannten Sokratischen Methode (Fragen nach Beweisen, Alternativen, Konsequenzen) überprüft. - Ersetzen:
Die kognitiven Verzerrungen werden durch realistischere, ausgewogenere und hilfreichere Bewertungen (Kognitionen) ersetzt.