Kognitive Wende
Die Kognitive Wende (engl. Cognitive Revolution) in der Psychologie beschreibt einen Paradigmenwechsel, der in den 1950er und 1960er Jahren stattfand. Sie markiert den Übergang vom strikten Behaviorismus hin zur kognitiven Psychologie und legte den Grundstein für die moderne Psychotherapieforschung.
Zentrale Bedeutung
Der Behaviorismus hatte über Jahrzehnte hinweg die Psychologie dominiert und postulierte, dass der Forschungsgegenstand nur das direkt beobachtbare Verhalten sei (Reiz –> Reaktion). Innere mentale Prozesse (Black Box) wurden als unwissenschaftlich abgelehnt.
Die Kognitive Wende löste diese Beschränkung auf:
- Öffnung der „Black Box“:
Sie erlaubte und forderte die wissenschaftliche Untersuchung innerer mentaler Prozesse wie Denken, Gedächtnis, Wahrnehmung, Problemlösung und Aufmerksamkeit. - Fokus auf Informationsverarbeitung:
Der Mensch wird nicht mehr nur als passiver Empfänger von Reizen gesehen, sondern als aktiver Informationsverarbeiter (oft in Analogie zum Computer).
Die Ursachen und Einflüsse
Die Wende wurde durch die Konvergenz mehrerer wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen begünstigt:
- Informatik und Kybernetik:
Die Entwicklung der ersten Computer lieferte das Informationsverarbeitungsmodell (Information Processing Approach). Mentale Prozesse konnten nun in formalen Schritten (Input, Verarbeitung, Output) modelliert werden. - Linguistik (Noam Chomsky):
Chomsky kritisierte die behavioristische Erklärung des Spracherwerbs (Skinner) scharf. Er argumentierte, dass Sprache zu komplex sei, um nur durch Konditionierung erlernt zu werden, und postulierte angeborene, kognitive Strukturen (mentale Grammatik). - Neurobiologie:
Fortschritte in der Erforschung des Gehirns zeigten, dass neuronale Prozesse für komplexe mentale Operationen verantwortlich sind. - Psychologie (George Miller, Ulric Neisser):
Psychologen begannen, Theorien über Gedächtnisstrukturen (z.B. das magische Zahl 7 Phänomen) und die selektive Aufmerksamkeit zu entwickeln, die ohne die Untersuchung innerer Prozesse nicht erklärbar waren.
Auswirkungen auf die Psychotherapie
Die Kognitive Wende führte zur Zweiten Welle der Verhaltenstherapie:
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT):
Therapeuten wie Aaron Beck (Kognitive Triade) und Albert Ellis (Rational-Emotive Verhaltenstherapie, REVT) integrierten die kognitiven Modelle. Sie postulierten, dass Denkfehler (kognitive Verzerrungen) und dysfunktionale Überzeugungen (Schemata) die Ursache psychischer Störungen sind. - Behandlungsziel:
Nicht nur das Verhalten, sondern auch die zugrundeliegenden kognitiven Prozesse (Gedanken, Bewertungen) wurden zum direkten Ziel der Intervention (z.B. Kognitive Umstrukturierung).
Die Kognitive Wende etablierte die kognitive Psychologie als dominierendes Paradigma und ist die Grundlage für die heutige Kognitionswissenschaft, die Psychologie, Informatik, Linguistik und Neurowissenschaften vereint.
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