Modell der doppelten Handlungsregulation

Der Psychotherapeut Rainer Sachse entwickelte das Modell der doppelten Handlungsregulation als theoretische Grundlage für die von ihm begründete Klärungsorientierte Psychotherapie. Es dient u.a. als Erklärungsansatz für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Persönlichkeitsstörungen (PS), aus dem heraus spezifische therapeutische Strategien für die Behandlung abgeleitet werden.

Kernkonzepte: Motive und Schemata

Die Entstehung des Dilemmas bei Persönlichkeitsstörungen

Nach Sachse entsteht eine Persönlichkeitsstörung, weil die Betroffenen in ihrer Lebensgeschichte chronisch erlebt haben, dass wichtige Beziehungsmotive enttäuscht wurden (z. B. das Motiv nach Wertschätzung).

  1. Überwertiges Motiv:
    Diese ständige Glossar: Frustration des grundlegenden Motivs führt dazu, dass das unerfüllte Motiv extrem wichtig für die Person und damit überwertig wird.

  2. Negative Schemata:
    Gleichzeitig entwickeln die Betroffenen negative Schemata, die die Erfüllung des Motivs behindern – etwa die Überzeugung, dass sie „zu wertlos“ sind, um von anderen aufrichtig geschätzt zu werden, oder dass Beziehungen generell unzuverlässig sind.

Die Maladaptive Lösung: Interaktionsspiele

Um das Dilemma zu lösen – also das überwertige Motiv trotz der negativen Schemata zu befriedigen – greifen die Betroffenen zu maladaptiven (dysfunktionalen) Strategien, die Sachse als „Interaktionsspiele“ bezeichnet.

Hierbei handelt es sich um Verhaltensweisen, die manipulativ, undurchsichtig oder unecht erscheinen:

  • Indirekte Befriedigung:
    Die Betroffenen zeigen spezifische Verhaltensweisen, für die sie gelernt haben, kurzzeitig eine Ersatzbefriedigung ihres Motivs zu erhalten.

    • Beispiel: Jemand gibt sich übertrieben unterhaltsam oder prahlt ständig mit Leistungen, um kurzfristig Aufmerksamkeit und Bewunderung (eine Form der Wertschätzung) zu erhalten.

  • Erzeugung eines Wunschbilds:
    Die Betroffenen versuchen gezielt, bei anderen ein bestimmtes, oft idealisiertes Bild von sich selbst zu erzeugen.

    • Beispiel (Narzisstische PS): Die Person inszeniert sich unermüdlich als „außergewöhnlicher und allseits geschätzter Erfolgsmensch“, um das Motiv nach Bewunderung indirekt zu steuern und zu befriedigen.

Die Aufrechterhaltung der Störung

Obwohl die Interaktionsspiele kurzfristig eine scheinbare Entlastung bringen, sind sie langfristig maladaptiv und führen zur Aufrechterhaltung der Störung:

  1. Kurzfristig und Indirekt:
    Das eigentliche, tiefe Motiv kann durch diese indirekten Spiele niemals authentisch und nachhaltig befriedigt werden, weil das zugrundeliegende Bedürfnis (z. B. nach ehrlicher, bedingungsloser Wertschätzung) für andere nicht erkennbar ist.

  2. Negative Reaktion:
    Die Umwelt reagiert auf das undurchsichtige, kontrollierende oder unechte Verhalten der Betroffenen typischerweise mit Genervtheit, Verärgerung, Langeweile oder Rückzug.

  3. Bestätigung der Schemata:
    Diese negativen Reaktionen bestätigen die ursprünglichen negativen Schemata der Person („Ich bin tatsächlich nicht wertgeschätzt“), was das Motiv noch überwertiger macht und den Kreislauf der maladaptiven Interaktionsspiele erneut in Gang setzt. Dies führt zu massiven und chronischen Problemen in den zwischenmenschlichen Beziehungen.

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