Orientierung

Der Begriff der Orientierung hat in der Klinischen Psychologie, respektive der Kognitiven Psychologie und der Motivationspsychologie, zwei unterschiedliche, aber miteinander in Zusammenhang stehende Bedeutungen:

  1. Orientierung als kognitive Wahrnehmungsfähigkeit (im klinischen Sinne)
  2. Orientierung als psychologisches Grundbedürfnis (im motivationspsychologischen Sinne)

1. Orientierung als Kognitive Funktion (Wahrnehmung)

In der klinischen Psychologie und Psychiatrie bezieht sich Orientierung auf die Fähigkeit, sich in der Umwelt zu verorten und zu erkennen, wer man ist und was gerade passiert. Sie ist eine Messgröße für die Funktion des Bewusstseins und der kognitiven Leistungsfähigkeit.

Die Orientierung wird traditionell in vier Dimensionen unterteilt, von denen die ersten drei die allopsychische (Bezug zur Außenwelt) und die vierte die autopsychische (Bezug zur eigenen Person) Orientierung darstellen:

  • Zur Zeit:
    Die korrekte Bestimmung von Datum, Wochentag, Monat, Jahr und Uhrzeit.
  • Zum Ort:
    Die korrekte Benennung des aktuellen Aufenthaltsortes (Gebäude, Stadt, Land).
  • Zur Situation:
    Das Verstehen des aktuellen Kontextes und Anlasses (z.B. „Ich bin hier in einer Arztpraxis, weil ich ein Problem besprechen möchte“).
  • Zur Person:
    Das Wissen um die eigene Identität (Name, Alter, Lebensgeschichte).

Störungen der Orientierung (Desorientierung) sind häufige Symptome bei akuten Verwirrtheitszuständen (Delir) oder bei fortschreitenden kognitiven Störungen (Demenz).

2. Orientierung als Psychologisches Grundbedürfnis

In der Motivationspsychologie (insbesondere in der Konsistenztheorie nach Klaus Grawe) ist Orientierung ein universelles, angeborenes Grundbedürfnis.

Dieses Bedürfnis wird oft zusammen mit der Kontrolle genannt, da beides eng miteinander verbunden ist:

  • Orientierung (Verständnis):
    Das Streben danach, die Welt um uns herum zu verstehen und eine kohärente kognitive Landkarte zu besitzen, die es ermöglicht, Ereignisse zu erklären und vorherzusagen.
  • Kontrolle (Beeinflussung):
    Das Bedürfnis, die Umwelt und das eigene Leben beeinflussen und gestalten zu können (Selbstwirksamkeitserwartung).

Die Erfüllung dieses Grundbedürfnisses führt zu Sicherheit, Kompetenz und Handlungsfähigkeit.

Die Verletzung dieses Bedürfnisses (durch chaotische, unvorhersehbare oder traumatisierende Ereignisse) führt zu einem Gefühl der Hilflosigkeit, Angst und Kontrollverlust, was ein zentraler Mechanismus bei der Entstehung von psychischen Störungen ist.

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