Orthorexie

Orthorexie, oder genauer die Orthorexia Nervosa (ON), beschreibt eine krankhafte Fixierung auf eine „gesunde“ oder „reine“ Ernährungsweise. Es handelt sich um ein relativ neues Konzept, das von einigen Experten als eine Form der Essstörung betrachtet wird, obwohl es derzeit noch keine offizielle Diagnose im DSM-5-TR oder der ICD-11 ist.
Das Hauptproblem bei Orthorexie ist nicht (wie bei Anorexie) die Menge der Nahrung oder das Körpergewicht, sondern die Qualität und die „Reinheit“ der Lebensmittel.

Kernmerkmale der Orthorexie

Die zwanghafte Beschäftigung mit gesunder Ernährung führt zu folgenden Mustern:

Zwanghafte Regeln und Einschränkungen

Betroffene stellen extrem starre Regeln darüber auf, welche Lebensmittel „rein“, „unverarbeitet“ oder „gesund“ sind, und welche als „gefährlich“ oder „schlecht“ gelten. Sie eliminieren systematisch ganze Nahrungsmittelgruppen (z.B. Zucker, Fett, Konservierungsstoffe, Gluten, Produkte tierischen Ursprungs), auch wenn keine medizinische Notwendigkeit besteht.

Angst und Schuldgefühle

Das Essen wird von Angst und Schuldgefühlen begleitet.

  • Angst
    Panische Angst davor, „ungesunde“ Lebensmittel zu essen, was als Verunreinigung des Körpers empfunden wird.
  • Schuld
    Starke Scham– und Versagensgefühle, wenn die selbst auferlegten Regeln gebrochen werden.

Sozialer und Funktionaler Rückzug

Die rigide Einhaltung der Diät nimmt so viel Zeit und Energie in Anspruch, dass sie das Leben des Betroffenen dominiert:

  • Isolierung
    Betroffene ziehen sich aus sozialen Situationen zurück, in denen sie die Kontrolle über das Essen verlieren könnten (z.B. Restaurantbesuche, Partys).
  • Hoher Zeitaufwand
    Exzessive Zeit für die Planung von Mahlzeiten, das Einkaufen von Speziallebensmitteln und deren Zubereitung.

Gesundheitliche Konsequenzen

Obwohl die Absicht eine Verbesserung der Gesundheit ist, können die extremen Einschränkungen zu negativen Folgen führen:

  • Mangelernährung
    Nährstoffmängel (z.B. Eisen, Vitamin B12, Kalzium) durch das Weglassen wichtiger Lebensmittelgruppen.
  • Körperlicher Schaden
    In schweren Fällen können Untergewicht oder Organschäden auftreten.
  • Psychische Belastung
    Hoher Stress und zwanghaftes Verhalten.

Therapeutische Ansatzpunkte

Die psychologische Behandlung zielt darauf ab, die zwanghaften Muster und die dysfunktionalen Bewertungen von Essen und Selbstwert zu durchbrechen:

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT):
    Identifikation und Modifikation der zwanghaften Gedanken über „gesund“ und „ungesund“.
  • Expositionsübungen:
    Schrittweises Erproben von ehemals verbotenen Lebensmitteln und der Normalisierung des Essverhaltens.
  • Angst- und Kontrollbewältigung:
    Bearbeitung der tiefer liegenden Ängste und des übermäßigen Kontrollbedürfnisses, das sich im Essverhalten ausdrückt.
  • Wiederherstellung des Genusses:
    Das Essen soll wieder als Quelle des Genusses und der sozialen Interaktion und nicht nur als Mittel zur Gesundheitsoptimierung betrachtet werden.

Zusammenfassend: Orthorexie ist die Umwandlung eines ursprünglich gesunden Interesses in eine zwanghafte, krankmachende Besessenheit, die zu psychischem Leid und körperlichen Mangelerscheinungen führen kann.
Obwohl die Orthorexie (Orthorexia nervosa) noch nicht offiziell als eigenständige Diagnose in den großen internationalen Klassifikationssystemen (wie ICD-10/11 oder DSM-5) aufgeführt ist, erfüllt sie die Kriterien eines pathologischen Zustands, da sie zu einem hohen psychischen Leidensdruck führt, die Lebensqualität stark einschränkt und gravierende körperliche sowie soziale Folgen haben kann.

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