Selbstbeobachtung
Die Selbstbeobachtung (häufig synonym verwendet mit Introspektion) in der Psychologie bezeichnet die nach innen gerichtete, bewusste und zielgerichtete Wahrnehmung und Analyse des eigenen Erlebens und Verhaltens.
Definition und Ziel
Selbstbeobachtung dient dazu, die eigenen psychischen Vorgänge und Zustände zu erfassen. Dazu gehören:
- Gedanken und kognitive Prozesse (z.B. Denkmuster, Entscheidungsfindung).
- Gefühle und Emotionen (z.B. Freude, Ärger, Angst).
- Stimmungen und Bedürfnisse.
- Verhalten und die zugrunde liegende Motivation.
Das Hauptziel ist die Selbsterkenntnis und das Verständnis für die Zusammenhänge zwischen innerem Erleben und äußerem Handeln.
Historische Rolle in der Psychologie
Die Selbstbeobachtung hat eine wechselvolle Geschichte als wissenschaftliche Methode:
- Klassische Psychologie (Wilhelm Wundt):
Im Strukturalismus von Wilhelm Wundt, dem Begründer der experimentellen Psychologie, war die (systematische) Selbstbeobachtung eine zentrale Methode. Die Probanden wurden geschult, ihre Bewusstseinsinhalte (Empfindungen, Gefühle) in kleinste Bestandteile zu zerlegen und zu beschreiben. - Kritik und Behaviorismus:
Im Laufe der Zeit geriet die Selbstbeobachtung stark in die Kritik, insbesondere wegen ihrer Subjektivität und der mangelnden intersubjektiven Überprüfbarkeit (was der eine als „Gefühl“ beschreibt, kann ein anderer nicht objektiv messen). Der Behaviorismus lehnte sie als unwissenschaftlich ab, da er sich nur auf objektiv messbares Verhalten konzentrierte. - Neuere Ansätze:
Heute wird die strikte, unsystematische Selbstbeobachtung kaum noch als alleinige wissenschaftliche Forschungsmethode eingesetzt. Sie erlebt jedoch in modifizierter, systematischer Form eine Renaissance in der Bewusstseinsforschung und als therapeutisches Werkzeug.
Anwendung in der modernen Praxis
Im therapeutischen und beraterischen Kontext ist die Selbstbeobachtung heute ein wichtiger Bestandteil:
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT):
Hier ist die Selbstbeobachtung (oft in Form von Tagebüchern oder Protokollen) ein zentrales Werkzeug. Patienten protokollieren spezifische Situationen, die damit verbundenen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen (ABC-Modell). Dies hilft, die eigenen dysfunktionalen Muster zu erkennen und zu verändern. - Achtsamkeitsbasierte Ansätze:
Techniken wie Achtsamkeitsmeditation (Mindfulness) schulen eine nicht-wertende, akzeptierende Form der Selbstbeobachtung. Hierbei geht es darum, das eigene Erleben im gegenwärtigen Moment bewusst wahrzunehmen, ohne es sofort zu bewerten oder darauf automatisch zu reagieren. - Coaching und Beratung:
Die Selbstbeobachtung hilft Klienten, ihre Ressourcen, Gewohnheiten und Widerstände im Alltag zu identifizieren, um eine bewusste Verhaltensänderung zu ermöglichen.