Sozial-kognitive Lerntheorie

Die Sozial-kognitive Lerntheorie (auch bekannt als Modelllernen oder Lernen am Modell) wurde maßgeblich von dem kanadischen Psychologen Albert Bandura entwickelt. Sie stellt eine wichtige Brücke zwischen behavioristischen Lerntheorien und kognitiven Ansätzen dar, da sie betont, dass Lernen nicht nur durch direkte Belohnung und Bestrafung, sondern vor allem durch die Beobachtung anderer Menschen und durch kognitive Prozesse erfolgt.

Zentrale Konzepte der Theorie

Die Theorie basiert auf mehreren Schlüsselelementen, die erklären, wie Menschen neue Verhaltensweisen erwerben und ausführen.

1. Beobachtungslernen (Modelllernen)

Der Mensch lernt, indem er ein Modell (eine reale Person, eine Figur in Medien oder eine verbale Anleitung) beobachtet und dessen Verhalten nachahmt. Dieses Lernen findet in zwei Hauptphasen statt:

  1. Aneignungsphase (Akquisition):
    Der Beobachter erwirbt das Verhalten kognitiv.

    • Aufmerksamkeitsprozesse:
      Der Beobachter muss dem Modell und seinem Verhalten aktiv Aufmerksamkeit schenken. Attraktive, kompetente oder mächtige Modelle erhöhen die Aufmerksamkeit.
    • Behaltensprozesse:
      Das beobachtete Verhalten wird in Form von symbolischen Repräsentationen (Gedächtnisbildern oder sprachlichen Codes) gespeichert.
  2. Ausführungsphase (Performanz):
    Der Beobachter setzt das gespeicherte Verhalten um.

    • Reproduktionsprozesse:
      Der Beobachter versucht, die gespeicherte Information in konkrete Handlungen umzusetzen, oft durch Übung und Korrektur (Feedback).
    • Motivationsprozesse:
      Ob das Verhalten tatsächlich ausgeführt wird, hängt stark von den erwarteten Konsequenzen ab.

2. Reziproker Determinismus

Bandura betonte die dynamische Wechselwirkung zwischen drei Faktoren, die das Verhalten bestimmen:

  1. Person (kognitive Faktoren, Emotionen, biologische Einflüsse)
  2. Verhalten (die ausgeführte Handlung)
  3. Umwelt (soziale und physische Umgebung, Konsequenzen)

Keiner dieser Faktoren ist allein entscheidend; sie beeinflussen sich gegenseitig in einem fortlaufenden Prozess.

3. Selbstwirksamkeit (Self-Efficacy)

Dies ist eines der wichtigsten Konzepte Banduras. Selbstwirksamkeit ist die subjektive Überzeugung einer Person, eine bestimmte Aufgabe oder Herausforderung aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten erfolgreich bewältigen zu können.

  • Eine hohe Selbstwirksamkeit steigert die Motivation, die Anstrengung und die Ausdauer bei der Verfolgung von Zielen, selbst wenn Hindernisse auftreten.
  • Selbstwirksamkeit wird beeinflusst durch:
    • eigene Bewältigungserfahrungen,
    • stellvertretende Erfahrungen (Modelllernen),
    • verbale Ermutigung und
    • den eigenen emotionalen Zustand.

Das Bobo-Doll-Experiment

Das berühmte Bobo-Doll-Experiment (Anfang der 1960er Jahre) lieferte den empirischen Beweis für das Beobachtungslernen und widerlegte die behavioristische Annahme, dass Lernen stets direkte Verstärkung erfordert.

  • Vorgehen:
    Kinder beobachteten einen Erwachsenen (das Modell), der eine aufblasbare Puppe (Bobo Doll) aggressiv behandelte (schlagen, treten, spezifische verbale Ausrufe). Die Kinder wurden dann in einen Raum mit der Puppe gebracht.
  • Ergebnis:
    Kinder, die das aggressive Verhalten beobachtet hatten, zeigten signifikant mehr nachgeahmte Aggression gegenüber der Puppe als Kinder in der Kontrollgruppe, die ein nicht-aggressives Modell beobachtet hatten.
  • Schlussfolgerung:
    Aggression kann allein durch Beobachtung gelernt werden, ohne dass die Kinder selbst direkt für das aggressive Verhalten belohnt wurden. Die stellvertretende Verstärkung (wenn das Modell belohnt oder nicht bestraft wurde) beeinflusste lediglich die Ausführung des erlernten Verhaltens.

Die Theorie hat weitreichende Implikationen, insbesondere für die Pädagogik, die klinische Psychologie (z.B. bei der Behandlung von Phobien durch Modelllernen) und die Medienwirkungsforschung.

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