Sozialisation
Die Sozialisation ist ein fundamentales Konzept in der Psychologie, insbesondere in der Entwicklungspsychologie und der Sozialpsychologie. Sie beschreibt den lebenslangen Prozess, durch den ein Mensch in eine Gesellschaft oder in eine ihrer Gruppen hineinwächst.
Definition der Sozialisation
Sozialisation ist der Prozess, durch den der Mensch lernt, Teil seiner Gesellschaft zu werden. Dabei werden ihm die gesellschaftlich notwendigen Verhaltensweisen, Normen, Werte, Überzeugungen und Rollen vermittelt.
Kernmerkmale:
- Interaktion:
Sozialisation findet immer in der Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner sozialen und materiellen Umwelt statt. - Veränderung der Persönlichkeit:
Sie führt zu einer strukturellen Veränderung der Persönlichkeit des Individuums, da es internalisiert, was gesellschaftlich erwartet wird. - Anpassung:
Sie ermöglicht die Anpassung an die sozialen Gegebenheiten und die Entwicklung der sozialen Handlungsfähigkeit. - Lebenslanger Prozess:
Obwohl die frühe Kindheit prägend ist, dauert die Sozialisation vom Säuglingsalter bis ins hohe Alter an.
Ziele und Dimensionen
Die Sozialisation hat zwei eng miteinander verbundene Zielsetzungen, die sich oft in einem Spannungsverhältnis befinden:
1. Gesellschaftliche Integration
- Ziel:
Sicherstellung der Reproduktion der Gesellschaft durch die Weitergabe ihrer Werte, Normen und Verhaltensmuster. - Resultat:
Das Individuum wird handlungsfähig und kann die zugewiesenen sozialen Rollen (z. B. Arbeitnehmer, Partner, Bürger) ausfüllen.
2. Individuelle Identitätsbildung
- Ziel:
Entwicklung einer einzigartigen Persönlichkeit und einer stabilen Identität (Selbstkonzept). - Resultat:
Das Individuum lernt, seine eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Neigungen zu verstehen und im Einklang mit den gesellschaftlichen Erwartungen zu artikulieren.
Instanzen der Sozialisation
Als Instanzen der Sozialisation werden die sozialen Gruppen und Organisationen bezeichnet, die den Prozess der Normen- und Wertevermittlung durchführen.
1. Primäre Sozialisation (Frühe Kindheit)
Findet in den ersten Lebensjahren statt und ist die grundlegendste und prägendste Phase.
- Instanz:
Familie und nahe Bezugspersonen. - Inhalte:
Erwerb von Sprache, emotionaler Bindung, grundlegender Verhaltenssteuerung und moralischen Vorstellungen.
2. Sekundäre Sozialisation (Kindheit und Jugend)
Baut auf der primären auf und erweitert den sozialen Radius des Kindes.
- Instanzen:
Kindergarten, Schule, Peers (Gleichaltrige), Medien. - Inhalte:
Erlernen spezifischer Rollen (Schüler, Freund), Fachwissen, formeller Regeln und Ablösung von den Eltern.
3. Tertiäre Sozialisation (Erwachsenenalter)
Umfasst die Anpassungen, die im Erwachsenenleben notwendig sind.
- Instanzen:
Beruf, Universität, Arbeitsplatz, Partnerbeziehungen, Militär, Vereine. - Inhalte:
Erwerb von Fachkompetenzen, beruflicher Identität, neuen sozialen Rollen (Elternschaft) und Anpassung an neue Lebensphasen.
4. Resozialisation (Spezialfall)
Bezieht sich auf die Umlernprozesse bei tiefgreifenden Lebensveränderungen oder nach massiven Regelverstößen (z. B. nach Haftstrafen oder bei kulturellem Migrationshintergrund).
- Ziel:
Erwerb neuer, funktionaler Normen und Verhaltensweisen.
Die Sozialisation ist somit der dynamische Mechanismus, der sowohl die Stabilität der Gesellschaft als auch die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit sicherstellt.
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