Vagusnerv

Der Vagusnerv (Nervus vagus, der zehnte Hirnnerv) ist in der Psychologie von herausragender Bedeutung, da er der Hauptnerv des Parasympathikus ist und damit die wichtigste autonome Steuerzentrale für Ruhe, Regeneration und Emotionsregulation. Er gilt als biologische Grundlage für innere Sicherheit und soziale Verbundenheit.

Vagusnerv und die Polyvagal-Theorie

Die psychologische Relevanz des Vagusnervs wurde maßgeblich durch die Polyvagal-Theorie von Dr. Stephen Porges geprägt. Diese Theorie erklärt die physiologischen Grundlagen emotionaler und sozialer Reaktionen und unterteilt den Vagus in zwei funktionell unterschiedliche Stränge:

Vagusnerv-Strang Funktion/Zustand Psychologischer/Sozialer Zustand
Ventraler Vagus (der „neuere“ Teil) Beruhigung, soziale Kommunikation, Bremsung des Herzens. Sicherheit, Verbundenheit, soziales Engagement (Fähigkeit zu Augenkontakt, Stimmmodulation).
Dorsaler Vagus (der „ältere“ Teil) Massives Herunterfahren der Körperfunktionen. Immobilisierung ohne Angst („Totstell-Reflex“, Erstarrung), Dissoziation, tritt bei extremer Überwältigung/Trauma auf.

Kernaussage: Laut der Theorie ist die primäre Funktion des Vagusnervs, uns zu helfen, Sicherheit zu erkennen und daraufhin soziale Interaktion und Ruhe zu ermöglichen. Nur wenn der ventrale Vagus aktiv ist, können wir uns emotional sicher fühlen und zwischenmenschliche Signale (wie Gesichtsausdrücke und Stimmlage) korrekt verarbeiten.

Der Vagusnerv als „innere Bremse“

Der Vagusnerv fungiert als eine Art „Vagusbremse“, die die Herzfrequenz aktiv verlangsamt (parasympathischer Tonus).

  • Herzratenvariabilität (HRV):
    Die psychologische Forschung nutzt die HRV – die Variabilität der Zeitabstände zwischen einzelnen Herzschlägen – als Indikator für die Aktivität des Vagusnervs. Eine hohe HRV steht für einen aktiven, flexiblen Vagusnerv und korreliert mit:

    • Besserer Stressbewältigung.
    • Größerer emotionaler Stabilität und Konzentrationsfähigkeit.
    • Einer schnelleren Erholung nach Belastung.
  • Psychische Störungen:
    Ein schwacher Vagustonus (niedrige HRV) wird hingegen mit erhöhter Anfälligkeit für chronischen Stress, Angstzustände, Depressionen und Panikstörungen in Verbindung gebracht, da der Körper schlechter in der Lage ist, sich selbst zu beruhigen.

Therapeutische Aktivierung

Die gezielte Vagusnerv-Stimulation ist zu einem wichtigen Element in der psychologischen und psychotherapeutischen Behandlung geworden, um das autonome Nervensystem zu regulieren:

  • Verhaltensbasierte Stimulation (nicht-invasiv):
    • Atemübungen:
      Besonders langsames und tiefes Ausatmen aktiviert den Vagusnerv.
    • Klang/Stimme:
      Singen, Summen, Gurgeln oder Lachen erzeugt Vibrationen, die den Vagusnerv stimulieren.
    • Körpertherapie:
      Achtsamkeits- und Embodiment-Übungen zur Verbesserung der Körperwahrnehmung.
  • Klinische Vagusnerv-Stimulation (VNS):
    Invasive (implantierte) oder transkutane (über die Haut, meist am Ohr) VNS-Geräte werden als ergänzende Behandlung bei therapieresistenter Depression und Epilepsie eingesetzt.
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