Vertrauen

Vertrauen ist ein zentrales Konzept der Psychologie und Psychotherapie, das sowohl die grundlegende Erwartung an die Zuverlässigkeit der Umwelt als auch die spezifische Erwartung an die Verlässlichkeit einer bestimmten Person oder Institution beschreibt. Es ist essenziell für die Entwicklung der Persönlichkeit, die psychische Gesundheit und das Funktionieren von Beziehungen und Gesellschaften.

Das Urvertrauen (Entwicklungspsychologie)

Die psychoanalytische und die entwicklungspsychologische Perspektive betrachten Vertrauen als eine fundamentale Basis, die früh im Leben gelegt wird.

  • Erik Erikson:
    Nach dem Psychologen Erik H. Erikson ist die erste psychosoziale Krise im Säuglingsalter (erstes Lebensjahr) die Auseinandersetzung zwischen „Basic Trust vs. Mistrust“ (Urvertrauen versus Urmisstrauen).

    • Die Entwicklung des Urvertrauens entsteht durch die verlässliche, konstante und liebevolle Befriedigung der Bedürfnisse des Säuglings durch die primäre Bezugsperson (meist die Mutter).
    • Wird diese Phase erfolgreich durchlaufen, entwickelt das Kind die Hoffnung als fundamentale Tugend und geht mit einer positiven Erwartungshaltung in die Welt.
  • Bindungstheorie (Bowlby): Sichere Bindung, die durch eine feinfühlige und verlässliche Reaktion der Bezugsperson entsteht, ist die Voraussetzung für die Entwicklung von Vertrauen in andere und sich selbst.

Vertrauen als Kognitive und Emotionale Komponente (Sozialpsychologie)

Vertrauen ist ein komplexes Konstrukt, das kognitive (gedankliche) und affektive (emotionale) Elemente umfasst:

  • Kognitive Komponente:
    Bezieht sich auf die Erwartung und die rationale Einschätzung, dass der Partner, die Institution oder die Situation verlässlich, kompetent und ehrlich handeln wird. Es ist die Überzeugung, dass der andere das Vertrauen nicht missbrauchen wird.
  • Affektive/Emotionale Komponente:
    Bezieht sich auf das Gefühl der Sicherheit und der psychologischen Verwundbarkeit. Vertrauen bedeutet, sich bewusst in eine Position der Abhängigkeit zu begeben, ohne Angst vor Schaden haben zu müssen.

Vertrauen entsteht aus der Verlässlichkeit und Vorhersagbarkeit von Verhalten über die Zeit.

Vertrauen in der Psychotherapie

In der Psychotherapie ist Vertrauen ein zentraler Wirkfaktor und die Grundvoraussetzung für den Therapieerfolg:

  • Therapeutische Allianz:
    Das Vertrauensverhältnis zwischen Klient und Therapeut (die sogenannte therapeutische Allianz) ist der wichtigste Prädiktor für den Behandlungserfolg, unabhängig von der angewandten Therapiemethode.
  • Offenheit und Risiko:
    Nur in einer Atmosphäre des Vertrauens ist der Klient bereit, schmerzhafte oder schambesetzte Themen zu offenbaren und neue, riskante Verhaltensweisen auszuprobieren.
  • Korrigierende Erfahrung:
    Für Klienten mit Bindungstraumata oder erworbenem Misstrauen (z.B. durch Missbrauch) bietet die stabile und verlässliche therapeutische Beziehung die Chance auf eine korrigierende emotionale Erfahrung, die hilft, das Vertrauen in Beziehungen grundsätzlich wiederherzustellen.

Vertrauensverlust

Vertrauensverlust entsteht, wenn die Erwartung der Verlässlichkeit schwer enttäuscht wird (z.B. durch Verrat, Lügen oder Inkompetenz). Die Wiederherstellung von Vertrauen ist ein langwieriger Prozess, der konsequentes, transparentes und zuverlässiges Verhalten erfordert.

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