Zugehörigkeit
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit (oder Verbundenheit) ist ein menschliches Grundbedürfnis und spielt eine zentrale Rolle für die psychische Gesundheit. In der Psychologie und Psychotherapie wird es als essenziell für Wohlbefinden, Motivation und Resilienz betrachtet.
Psychologische Grundlagen der Zugehörigkeit
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit beschreibt das angeborene Verlangen, stabile, positive und bedeutsame Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
1. Fundamentales Grundbedürfnis (Need to Belong)
- Evolutionäre Perspektive:
Aus evolutionärer Sicht erhöhte die Zugehörigkeit zu einer Gruppe die Überlebenschancen (Schutz, Nahrungssuche). Das Bedürfnis ist daher tief in der menschlichen Psyche verankert. - Baumeister & Leary:
Die Sozialpsychologen Roy Baumeister und Mark Leary postulierten in ihrer einflussreichen Theorie, dass Zugehörigkeit ein universelles Grundbedürfnis sei. Dessen Erfüllung erfordert sowohl regelmäßigen, positiven Kontakt (Interaktion) als auch das Bestehen einer stabilen, emotionalen Bindung (Affekt). - Selbstbestimmungstheorie (SDT):
In dieser wichtigen Motivationstheorie gilt Verbundenheit (neben Autonomie und Kompetenz) als eines der drei psychologischen Grundbedürfnisse, die für intrinsische Motivation und psychische Gesundheit unerlässlich sind.
2. Maslows Hierarchie
In Maslows Bedürfnispyramide ist die Zugehörigkeit (Liebe, Freundschaft, soziale Beziehungen) auf der dritten Stufe angesiedelt und gehört damit zu den Defizitbedürfnissen. Ihre Befriedigung ist notwendig, um höhere Bedürfnisse (wie Wertschätzung und Selbstverwirklichung) anstreben zu können.
3. Psychische Auswirkungen
Die Erfüllung des Zugehörigkeitsbedürfnisses führt zu:
- Positiven Emotionen:
Glück, Zufriedenheit, Sicherheit. - Stärkung des Selbstwerts:
Das Gefühl, akzeptiert und geliebt zu sein. - Resilienz:
Ein unterstützendes soziales Netz ist der wichtigste Schutzfaktor in Krisenzeiten.
Die chronische Nichterfüllung des Bedürfnisses (z.B. durch soziale Isolation, Ablehnung oder Einsamkeit) ist ein starker Risikofaktor für die Entwicklung von Depressionen, Angststörungen und erhöht das Risiko für körperliche Erkrankungen. Der Schmerz der Ablehnung wird im Gehirn auf ähnliche Weise verarbeitet wie körperlicher Schmerz.
Relevanz in der Psychotherapie
In der Psychotherapie ist die Wiederherstellung und Stärkung der Zugehörigkeit ein zentrales Behandlungsziel und ein wichtiger therapeutischer Wirkfaktor.
1. Therapeutische Beziehung (Bindung)
Das erste und wichtigste Element ist die Herstellung einer sicheren therapeutischen Beziehung. Die Erfahrung von Akzeptanz, Empathie und Wertschätzung durch den Therapeuten erfüllt das Bindungsbedürfnis und dient als korrigierende emotionale Erfahrung.
2. Behandlung von Traumata und Bindungsstörungen
Gerade bei Klienten mit Traumafolgestörungen oder Bindungsstörungen, die in ihren frühen Beziehungen Verletzungen erlitten haben, bietet die Therapie einen sicheren Rahmen, um das Grundvertrauen in Beziehungen neu aufzubauen.
3. Grawes Konsistenztheorie
Klaus Grawe sieht Bindung als eines von vier universellen psychologischen Grundbedürfnissen (neben Orientierung/Kontrolle, Selbstwert und Lust/Unlustvermeidung). Psychische Störungen entstehen oft, wenn das Bindungsbedürfnis chronisch verletzt wird. Die Therapie muss daher darauf abzielen, dem Patienten zu helfen, effektivere Strategien zur Befriedigung dieses Bedürfnisses zu entwickeln und Inkonsistenzen im sozialen Bereich aufzulösen.
4. Gruppentherapie
Die Gruppentherapie nutzt das Bedürfnis nach Zugehörigkeit als zentralen Wirkfaktor.
- Universalität:
Klienten erfahren, dass sie mit ihren Problemen nicht allein sind. - Gruppenkohäsion:
Das Gefühl der Zugehörigkeit in der Gruppe bietet einen sicheren Raum zum Üben neuer Verhaltensweisen. - Interpersonelles Lernen:
Die Gruppe wird zum Mikrokosmos sozialer Beziehungen, in dem alte, dysfunktionale Beziehungsmuster sichtbar gemacht und in einem sicheren Kontext korrigiert werden können.