Zwangsspektrum-Störungen

Die Zwangsspektrum-Störungen (im Englischen oft als Obsessive-Compulsive Related Disorders bezeichnet) umfassen eine Gruppe psychischer Erkrankungen, die der Zwangsstörung (OCD) in ihren Symptomen, dem Verlauf, der familiären Häufung und dem Ansprechen auf bestimmte Behandlungen ähneln.

Das Spektrum beinhaltet Störungen, bei denen wiederkehrende, aufdringliche Gedanken, Impulse oder Bilder (Zwangsgedanken) und/oder stereotype, zwanghafte oder repetitive Verhaltensweisen (Zwangshandlungen oder ähnliche Rituale) im Vordergrund stehen, die oft mit erheblichem Leidensdruck verbunden sind.

Die Kernstörungen, die heute international (z. B. im DSM-5-Klassifikationssystem) in einer eigenen Kategorie „Zwangsstörung und verwandte Störungen“ zusammengefasst werden, sind:

1. Die Zwangsstörung (Obsessive-Compulsive Disorder, OCD)

  • Zwangsgedanken:
    Wiederkehrende, unerwünschte und quälende Gedanken, Bilder oder Impulse (z. B. Angst vor Kontamination, Angst vor unabsichtlicher Schädigung, Symmetriebedarf).
  • Zwangshandlungen:
    Wiederholte Verhaltensweisen oder mentale Handlungen, die ausgeführt werden, um die Angst, die durch die Zwangsgedanken ausgelöst wird, zu neutralisieren oder zu reduzieren (z. B. Waschen, Kontrollieren, Zählen, Ordnen).

2. Körperdysmorphe Störung

  • Übermäßige Beschäftigung mit einem wahrgenommenen oder geringfügigen Defekt des körperlichen Erscheinungsbilds.
  • Führt zu repetitiven Verhaltensweisen (z. B. ständiges Kontrollieren im Spiegel, Kaschieren des vermeintlichen Mangels, ständiges Nachfragen nach Bestätigung) und erheblichem Leiden.

3. Pathologisches Horten (Hoarding Disorder / Sammelzwang)

  • Anhaltende Schwierigkeit, sich von persönlichen Gegenständen zu trennen, unabhängig von ihrem tatsächlichen Wert.
  • Führt zur Ansammlung von Besitztümern, die Wohn- und Lebensbereiche unbrauchbar machen (Vermüllung).

4. Körperbezogene repetitive Verhaltensstörungen (Body-Focused Repetitive Behaviors, BFRBs)

Hierunter fallen Störungen, bei denen die Betroffenen einen Drang verspüren, ihren eigenen Körper zu schädigen (nicht aus selbstverletzender Absicht, sondern als nicht unterdrückbares, repetitives Verhalten):

  • Trichotillomanie (zwanghaftes Haareausreißen).
  • Dermatillomanie (Skin-Picking Disorder, zwanghaftes Aufkratzen oder Zupfen der Haut).
  • Manche Autoren zählen auch das zwanghafte Nägelkauen (Onychophagie) hinzu.

Weitere oft diskutierte Kandidaten des Spektrums

Manche Konzepte sehen das Spektrum noch breiter und zählen auch Störungen hinzu, die eine hohe Komorbidität oder phänomenologische Ähnlichkeiten aufweisen:

  • Krankheitsangststörung (früher Hypochondrie):
    Ständige Beschäftigung mit der Angst, eine schwere Krankheit zu haben (oft verbunden mit zwanghaften Körperkontrollen oder Arztbesuchen).
  • Tic-Störungen/Tourette-Syndrom:
    Werden aufgrund der neurologischen Nähe und der häufigen Überschneidung mit OCD-Symptomen oft dazugezählt.
  • Bestimmte Impulskontrollstörungen/Verhaltenssüchte:
    Wie Kleptomanie (zwanghaftes Stehlen), pathologisches Glücksspiel oder Kaufsucht werden ebenfalls gelegentlich dem Spektrum zugeordnet, auch wenn sie Merkmale von Zwanghaftigkeit und Impulsivität aufweisen.

Psychologische Gemeinsamkeiten im Zwangsspektrum

In der Psychologie und Psychiatrie ist diese Konzeptualisierung wichtig, da sie auf gemeinsame psychologische Mechanismen, neurobiologische Grundlagen und vor allem ähnliche Behandlungsansätze hindeutet.

Die Störungen im Spektrum teilen oft folgende psychologische Kernmerkmale:

  • Intrusive Gedanken oder Impulse:
    Das Erleben von unerwünschten, aufdringlichen oder quälenden Gedanken, Bildern oder Impulsen.
  • Repetitive Verhaltensweisen:
    Das Ausführen von ritualisierten, stereotypen oder übermäßigen Handlungen, die meistens dazu dienen, Angst zu reduzieren oder ein Gefühl der „Vollständigkeit“ oder „Richtigkeit“ (Unvollständigkeitserleben) zu erzeugen.
  • Ich-Dystonie (häufig):
    Viele Betroffene erleben ihre Symptome als fremd, unerwünscht und quälend, da sie der eigenen Persönlichkeit widersprechen und die Lebensqualität stark einschränken.
  • Verstärkung durch Vermeidung:
    Die aus Angst ausgeführten Zwangshandlungen (oder die Vermeidung angstauslösender Situationen) führen kurzfristig zu einer Entlastung, verfestigen aber langfristig die Störung, da die Betroffenen nie lernen, dass die befürchteten Konsequenzen nicht eintreten.

Behandlung in der Psychotherapie

Der Goldstandard für die Behandlung der Zwangsspektrum-Störungen ist die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), oft kombiniert mit Medikamenten (meist Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, SSRIs), insbesondere bei schweren Fällen.

Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)

Die KVT zielt darauf ab, die psychologischen Mechanismen zu durchbrechen, die die Störung aufrechterhalten.

Exposition und Reaktionsverhinderung (ERP/ERV)

Dies ist die wichtigste verhaltenstherapeutische Technik für die Zwangsstörung und viele verwandte Störungen:

  • Exposition:
    Der Patient wird schrittweise und kontrolliert mit der Situation konfrontiert, die seine Angst oder den Drang zum Zwangsverhalten auslöst (z. B. eine Türklinke anfassen bei einem Waschzwang, den vermeintlichen Makel im Spiegel anschauen bei der Körperdysmorphen Störung).
  • Reaktionsverhinderung:
    Der Patient wird angeleitet, die übliche Zwangshandlung oder das Ritual (z. B. Händewaschen, Kontrollieren, Haare zupfen) zu unterlassen.

Das Ziel ist, zu erleben, dass:

  • a) die befürchteten Katastrophen (nicht) eintreten (z. B. keine Ansteckung oder kein Einbruch), und
  • b) die Angst und Anspannung auch ohne das Ritual nach einer Weile von selbst wieder abklingt (Habituation).

Kognitive Therapie

Dieser Ansatz zielt auf die Zwangsgedanken und überhöhten Annahmen ab, die der Störung zugrunde liegen:

  • Überprüfung von Denkmustern:
    Die Betroffenen lernen, überzogene Gefühle der Verantwortung („Wenn ich nicht kontrolliere, bin ich schuld am Unglück“), die Überschätzung von Gefahr oder den Perfektionismus zu identifizieren und durch realistischere Gedanken zu ersetzen (kognitive Umstrukturierung).
  • Umgang mit Intrusiven Gedanken:
    Lernen, aufdringliche Gedanken als das zu sehen, was sie sind (bloße Gedanken), anstatt sie als Zeichen für Gefahr oder eigene „Schlechtigkeit“ zu interpretieren.

Dieses Verständnis des Zwangsspektrums ermöglicht eine besser zugeschnittene Diagnostik und Behandlung, da viele Techniken, die bei der klassischen Zwangsstörung funktionieren, auch bei Störungen wie dem pathologischen Horten oder der Trichotillomanie erfolgreich eingesetzt werden können.

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