Krankheitsgewinn

Der Begriff Krankheitsgewinn (oder Krankheitsvorteil) beschreibt in der Psychologie und Psychotherapie die unbewussten Vorteile, die eine Person durch das Aufrechterhalten oder Entwickeln einer Krankheit oder eines Symptoms erlangt.

Dieser Gewinn ist typischerweise nicht der primäre Grund für die Entstehung der Störung, spielt aber eine entscheidende Rolle bei deren Aufrechterhaltung und Chronifizierung.

Man unterscheidet traditionell zwischen primärem und sekundärem Krankheitsgewinn.

1. Primärer Krankheitsgewinn (Intrapsychisch)

Der primäre Krankheitsgewinn bezieht sich auf die intrapsychischen (innerseelischen) Vorteile, die das Symptom direkt für die Psyche des Betroffenen hat. Es ist ein unbewusster Mechanismus zur Spannungsreduktion.

  • Funktion:
    Das Symptom (z.B. eine Lähmung bei der Konversionsstörung oder eine Panikattacke) dient als Abwehrmechanismus, um einen inneren, unerträglichen Konflikt oder eine starke Angst zu vermeiden.
  • Beispiel (Konversionsstörung):
    Ein Student erlebt eine unlösbare Angst vor dem Scheitern in einer wichtigen Prüfung. Das plötzliche, unwillkürliche Auftreten einer Blindheit (Konversionssymptom) verhindert, dass er zur Prüfung antreten muss. Der primäre Gewinn ist die Vermeidung des Konflikts und die damit verbundene Reduktion der Angst.
  • Charakteristik:
    Dieser Gewinn ist oft tief im Unbewussten verankert und hat eine entlastende Wirkung auf das psychische System.

2. Sekundärer Krankheitsgewinn (Interpersonell)

Der sekundäre Krankheitsgewinn bezieht sich auf die interpersonellen (zwischenmenschlichen) und äußeren Vorteile, die die kranke Person von ihrer sozialen Umgebung erhält.

  • Vorteile:
    • Zuwendung und Fürsorge:
      Erhalt von erhöhter Aufmerksamkeit, Liebe, Zuwendung und Pflege durch Partner, Familie oder Freunde.
    • Entpflichtung/Vermeidung:
      Die legitime Befreiung von unangenehmen Pflichten, Aufgaben, Anforderungen oder Verantwortlichkeiten (z.B. Arbeit, Schule, Haushaltspflichten).
    • Machtgewinn:
      Die Kontrolle über die Familie oder das Umfeld durch die Notwendigkeit, Rücksicht auf die Symptome zu nehmen.
    • Finanzielle Vorteile:
      Erhalt von Rente, Krankengeld oder Entschädigung (wobei dies in der Psychologie oft schärfer von der Simulation abgegrenzt wird).
  • Beispiel (Chronische Schmerzen):
    Ein Patient leidet unter chronischen Schmerzen. Der sekundäre Gewinn ist, dass der Partner nun die gesamte Hausarbeit übernimmt und die sonst konfliktbeladene Beziehung nun durch die Fürsorge stabilisiert wird.

Abgrenzung zur Simulation

Es ist entscheidend, den Krankheitsgewinn von der Simulation abzugrenzen:

  • Krankheitsgewinn:
    Die Symptome sind unwillkürlich und werden unbewusst aufrechterhalten. Der Patient leidet tatsächlich unter den Symptomen, auch wenn er unbewusst davon profitiert.
  • Simulation:
    Der Patient täuscht die Symptome bewusst vor, um einen klar definierten, materiellen Vorteil zu erlangen (z.B. Versicherungsbetrug, Wehrdienstvermeidung).

In der Psychotherapie ist die Klärung des sekundären Krankheitsgewinns oft ein wichtiger Schritt, da die unbewussten Vorteile die Motivation zur Genesung mindern können.

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