Konversionsstörung

Die Konversionsstörung (im ICD-11 als Dissoziative neurologische Symptomstörung klassifiziert) ist eine psychische Störung, bei der unwillkürlich und unbewusst körperliche Symptome auftreten, die eine neurologische Erkrankung imitieren, ohne dass dafür eine organische Ursache gefunden werden kann.

Kernmechanismus: Die „Konversion“

Der Name entstammt der psychodynamischen Theorie (ursprünglich von Sigmund Freud) und beschreibt einen Abwehrmechanismus:

  • Abwehr:
    Ein unerträglicher psychischer Konflikt oder massiver emotionaler Stress (z. B. nach einem Trauma oder in einer unlösbaren Lebenssituation) wird aus dem Bewusstsein verdrängt.
  • Umwandlung (Konversion):
    Die psychische Energie des Konflikts wird unbewusst in ein körperliches Symptom umgewandelt. Das Symptom dient als symbolische Ausdrucksform und löst den inneren Konflikt auf körperlicher Ebene.

Typische Symptome

Die Symptome ähneln Funktionsstörungen des Nervensystems und sind nicht vom Patienten vorgetäuscht (wichtig zur Abgrenzung von der Simulation):

  • Motorische Symptome:
    Plötzliche Lähmungen (Paralyse), abnormale Bewegungen (Zittern, Tics), Gangstörungen (z. B. der Patient kann nicht mehr gehen).
  • Sensorische Symptome:
    Blindheit, Taubheit, Verlust des Tastsinns (Anästhesie) oder Verlust der Stimme (Aphonie).
  • Anfallsartige Symptome:
    Pseudokrampfanfälle, die echten epileptischen Anfällen ähneln können.

Ein oft beobachtetes klinisches Merkmal ist die sogenannte „La Belle Indifférence“ (die schöne Gleichgültigkeit). Hierbei zeigen die Betroffenen eine auffällige emotionale Gelassenheit gegenüber der Schwere ihres körperlichen Funktionsverlusts, was im Gegensatz zur erwarteten emotionalen Reaktion steht.

Heutige psychologische Erklärungsansätze

Die psychologische Erklärung der Konversionsstörung (im ICD-11 als Dissoziative neurologische Symptomstörung bezeichnet) stützt sich heute primär auf das psychobiologische Modell der Dissoziation, der Emotionsregulation und des kognitiven Prozesses. Diese modernen Ansätze verzichten auf die freudsche Annahme der Umwandlung libidinöser Energie.

1. Dissoziations– und Traumamodelle

Dies ist die aktuell am stärksten anerkannte Erklärung, die die Symptome als direkte Folge eines Traumas oder eines überwältigenden psychischen Stresses sieht.

  • Dissoziation als Abwehrmechanismus:
    Bei extremem psychischem Stress (z. B. Trauma, unlösbarem Konflikt) wird die normale Integration von sensorischen, emotionalen und motorischen Informationen gestört. Anstatt den Schmerz psychisch zu erleben, spaltet das Gehirn die sensorischen oder motorischen Funktionen ab (Dissoziation). Die Lähmung oder Blindheit ist dann der Ausdruck dieser unwillkürlichen Trennung.
  • Selektive Aufmerksamkeit:
    Die Symptome entstehen, weil die Aufmerksamkeit auf die körperliche Funktion fehlgeleitet wird. Das Nervensystem „lernt“, die motorische oder sensorische Funktion selektiv zu unterdrücken, ohne dass eine strukturelle Schädigung vorliegt.
  • Funktionale Neurologie:
    Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass bei Konversionsstörung oft eine Überaktivierung des limbischen Systems (Emotionen, Angst) und eine verminderte Aktivität der für die Bewegungsplanung oder sensorische Verarbeitung zuständigen kortikalen Areale (z. B. prämotorischer Kortex, PFC) vorliegt. Die Symptome sind also real, aber funktional (durch Stress bedingt), nicht strukturell.

2. Das Kognitiv-Verhaltenstherapeutische Modell

Dieses Modell fokussiert auf die Aufrechterhaltung der Symptome durch Lernprozesse und Umweltfaktoren:

Element Erklärung
Erwartungshaltung Die Erwartung, ein Symptom zu entwickeln (oft unbewusst durch kulturelle oder soziale Modelle), kann die Entstehung der Symptome begünstigen.
Krankheitsgewinn (Sekundär) Die Symptome werden unbewusst durch positive Verstärkung aufrechterhalten. Der Patient erhält erhöhte Zuwendung oder wird von unangenehmen Pflichten entlastet (sekundärer Krankheitsgewinn).
Aufrechterhaltung Die Symptome werden beibehalten, da die Betroffenen eine Vermeidungsstrategie erlernt haben, um Angst oder Konflikte zu umgehen.

3. Defizit der Emotionsregulation (Alexithymie)

Ein signifikanter Teil der Patienten mit Konversionsstörung weist Merkmale der Alexithymie auf.

  • Körperliche Ausdrucksform:
    Patienten können emotionale Erregung nicht kognitiv identifizieren und verbalisieren. Die unbewältigte psychische Anspannung findet dann keinen sprachlichen Ausdruck und wird stattdessen direkt auf den Körper projiziert.
  • Gestörte Interozeption:
    Die Unfähigkeit, innere Zustände zu differenzieren, führt dazu, dass jede starke Erregung als rein körperliche Störung interpretiert wird.

Zusammenfassend erklären moderne Ansätze die Konversionsstörung als eine funktionale Störung des Nervensystems, bei der psychischer Stress und Trauma über dissoziative Mechanismen zu einer unwillkürlichen Unterdrückung motorischer oder sensorischer Funktionen führen, wobei sekundäre Gewinne die Symptome aufrechterhalten können.

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